Montag, 17. September 2007

Abschuss von Terrorflugzeugen: Tagesschau.de einsilbig

Ob's an der eventuell mangelnden politischen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Sender liegt, die unmöglich macht, dass einfach, klar aber umfassend geschildert und berichtet wird, was Verteidigungsminister Jung und die CDU-Politiker Bosbach und Pofalla hinter ihm im "Schützengraben" gerade anstellen? Was auch immer die Gründe sein mögen, bei Tagesschau.de gibt es momentan erstaunliche inhaltliche Lücken in den Artikeln zu Jungs Bekundungen, Terrorflugzeuge abschießen zu wollen.

Im Artikel "Dürfen Piloten den Abschuss verweigern?" steht:

Nach der Ankündigung von Verteidigungsminister Franz Josef Jung, im Notfall den Abschuss von entführten Passagiermaschinen anzuordnen, herrscht Unklarheit über die rechtliche Situation von Bundeswehrpiloten. Nach Einschätzung des Verteidigungsministeriums dürfen die Piloten einen Abschussbefehl trotz unklarer Rechtslage nicht verweigern. (Quelle: Tagesschau.de)


Wo, bitte schön, existiert eine unklare Rechtslage? Wenn Jung die klare Rechtslage nach eigenem Geschmack umdeuten will, ist das sein Problem.

Und im als "Hintergrund-Artikel" angemalten Bericht "'Übergesetzlicher Notstand' soll Flugzeugabschuss ermöglichen" darf man lesen:

Der "übergesetzliche Notstand" ist weder im Grundgesetz noch in anderen deutschen Gesetzesbüchern geregelt. Der Begriff besagt, dass ein Gesetzesbruch dann zulässig ist, wenn so höhere Werte geschützt werden. Jung will damit für den Staat in Anspruch nehmen, was im Strafgesetzbuch als Notwehr für den einzelnen Bürger gilt. Wer eine Straftat begeht, um sich selbst oder andere zu schützen, handelt nicht rechtswidrig. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Straftat ein "angemessenes Mittel" ist, die drohende Gefahr abzuwenden. Diese unter Juristen umstrittene Argumentation ist der letztmögliche Versuch, die rechtliche Grundlage für den Abschuss entführter Flugzeuge zu schaffen [...]. (Quelle: Tagesschau.de)


Was genau ist unter Juristen umstritten? Dass Notwehr nicht rechtswidrig sei oder dass der Staat ein Notwehrrecht für sich beanspruchen dürfe? Und warum dann die Beanspruchung des Konstruktes "übergesetzlicher Notstand" durch den Staat unter Juristen umstritten ist, erfährt der Leser bei Tagesschau.de leider auch nicht. Das könnte vermutlich Tagesschau.de nur in einem Artikel darstellen, den man dann mit dem Begriff "Dokumentation" anmalt.

Netzeitung.de hat das Agenturmaterial etwas sinnvoller zusammengestrickt, wie mir scheint: Einen übergesetzlichen Notstand gibt es nicht". Darin heißt es:

Ein "übergesetzlicher Notstand" ist weder im Grundgesetz noch in anderen deutschen Gesetzesbüchern geregelt. Wer sich darauf beruft, stellt sich automatisch außerhalb des geltenden Rechts. Er sucht einen Entschuldigungsgrund für den bewussten Verstoß gegen eine strafrechtliche Vorschrift wie etwa das Folter- oder Tötungsverbot, um damit angeblich übergeordnete Werte zu schützen. [...] Das Strafgesetzbuch kennt nur den "rechtfertigenden Notstand" (§ 34 StGB). Demnach handelt "nicht rechtswidrig", wer eine Straftat begeht, um eine unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben von sich oder einem anderen abzuwenden. [...] Auf den "rechtfertigenden Notstand" darf sich nach den Worten des früheren Verfassungsgerichtspräsidenten Ernst Benda allerdings nur "der Bürger berufen, nicht aber der Staat". (Quelle: Netzeitung.de)


Und da wird schon deutlicher, warum der Staat sich nicht auf den "rechtfertigenden Notstand" berufen kann. Weil der "Notstand" eine Ausnahme vom normalen Recht wäre. Der Rechtsstaat selbst ist jedoch das Recht. Der Rechtsstaat und seine Organe existieren nur als abstrakte Konstrukte und werden nur durch das Recht erzeugt, zusammengehalten und am Leben erhalten. Anders in einer Diktatur oder Monarchie. Dort ist bekanntlich der Alleinherrscher der personifizierte Staat. Foltergesetze oder Notstandsgesetze stellen zwar die Ethik von Monarchien oder Diktaturen in Frage, jedoch nicht ihre Existenz. Ein Rechtsstaat jedoch, der in Fragen der Anwendung von Gewalt Willkürrecht folgen würde (und auf nichts anderes als auf Willkür laufen letztlich solche Dinge wie Folter oder präventive Massenabschlachtungen in Friedenszeiten im Inland oder das Abstreifen normaler gesetzlicher Regelungen durch den Staat in Notstandszeiten hinaus), löst sich automatisch ins Nichts auf und wird selbst zu einer Form der Willkürherrschaft.

Tja, dann warten wir mal auf die "Dokumentation" bei Tagesschau.de, wo die Zweifel der Juristen eventuell näher dargestellt werden. Mit Erscheinungsdatum nach Abflauen der Kritik an Jung womöglich? Derweil gibt es in den anderen Artikeln zu dem Thema bei Tagesschau.de nur die übliche Aneinanderreihung der Statements diverser Politiker.

Ach so, einen Kommentar gibt es bei Tagesschau.de auch noch. Tenor: Die Kritiker Jungs würden nicht sagen, was sie denn selbst tun würden:

Es ist schon erstaunlich, wie sich quer durch die Parteien Politiker verbal auf den Verteidigungsminister einschießen, aber mit keiner Silbe erwähnen, was sie selber in einer nicht ausschließbaren 9/11-Situation am Himmel über Deutschland zu tun gedächten. (Quelle: Tagesschau.de)


Also ich hätte darauf eine Antwort: Nichts.

Ja, genau. Nichts tun. Zumindest kein Roulette mit dem Leben von Flugzeuginsassen oder Menschen an potenziellen Absturzstellen spielen. Es gibt Grenzen der Möglichkeiten. Genau diese Grenzen zeichnen den Rechtsstaat aus. Diese Grenzen sind kein Defizit, sondern sein Vorzug vor anderen Regierungsformen. Und außerdem: Das Leben ist tödlich. Es gibt keine unendliche Sicherheit. Unfassbar, oder?

Und zum Schluss noch ein Danke an Tagesschau.de für die Beschimpfungen in oben erwähntem Kommentar - mit folgendem Gruß von mir zurück: Hey, Thomas Nehls, sie sind selbst ein Heuchler!

Tolles Niveau, nicht wahr? Mit Blick auf das Gebahren der GEZ kann man da nur sagen: Passt schon.

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