Donnerstag, 20. September 2007

Schäubles Pläne für neue Notstandsgesetze: Wird 2008 das neue 1968?

Schäuble hat die Lücke im Grundgesetz entdeckt.

Das ist das Problem mit Gesetzeswerken. Es gibt immer irgendwo eine Lücke.

Nein, ich meine keine ominösen "Schutzlücken", durch die Terroristen schlüpfen könnten. Ich meine die Lücke, in die man einen Hebel hineinstecken kann, um mit ihm das Grundgesetz auszuhebeln.

Der Hebel, mit dem Schäuble das hinderliche Grundgesetz aushebeln will, heißt "Krieg" oder "Notstand". Kein "übergesetzlicher" Notstand, auf den sich Privatpersonen notfalls berufen können, sondern ein per Gesetz definierter Notstand oder eben auch "Kriegszustand", um staatliches Handeln außerhalb der normalen Regeln des Grundgesetzes zu ermöglichen. Im Krieg, so die Meinung mancher Rechtsgelehrter, könne das eiserne Prinzip des Grundgesetzes, der unbedingte Schutz der Menschenwürde nämlich, nicht mehr eingehalten werden. Im Kriegszustand, so erlaubt es wohl auch die Genfer Konvention, ist das Militär bei seinen Aktionen dazu berechtigt bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen.

Wenn also ein Terrorflugzeug über Deutschland fliegt, so etabliere dies einen Kriegszustand oder Notstand, so Schäuble anscheinend in einem Gesetzentwurf, der schon länger in seiner Schublade lag, über den auch schon einige Male am Rande diskutiert wurde und der jetzt wieder hervorgeholt wird.

Per Ministerdekret solle - so Schäubles Vorschläge - der Friedenszustand in den Kriegszustand umgewandelt werden können oder ein erweiterter, allgemeiner Notstand ausgerufen werden können. Das Grundgesetz mit seinen Behinderungen staatlichen Handelns wäre dann weitgehend außer Kraft gesetzt und ein Terrorflugzeug könnte so abgeschossen werden.

Bei der Propaganda gegen das Grundgesetz, die derzeit aus der Union tönt und das Grundgesetz als hinderlich im Anti-Terrorkampf darstellt, kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung solch ein neues, erweitertes Notstandsgesetz sogar begrüßen würde.

Im Vergleich zu den bestehenden gesetzlichen Regelungen eines "Notstandes" erkenne ich bei Schäubles Vorschlägen folgende Besonderheiten:

So lange noch kein Terrorflugzeug abgestürzt ist, könnte man bei der bestehenden rechtlichen Lage noch nicht von einem Notstand reden. Schäubles Notstandsgesetz soll wohl also schon vor dem Eintreten einer Katastrophe wirksam werden können. Hier wird erneut das teuflische Wirken des Präventionsgedankens sichtbar! Das ist der eklatante Unterschied zu den bisherigen Regelungen, bei denen nur bei bereits eingetretenen Katastrophen das Militär mit Einschränkungen auch im Inland aktiv werden darf.

Der zweite Unterschied zu den bisherigen Notstandsregelungen ist, dass Schäuble anscheinend die Kompetenz den Notstand auszurufen auf einzelne Minister übertragen will. Spiegel.de berichtet dazu über Äußerungen Schäubles gegenüber der "Passauer Neue Presse":

Außerdem solle eine "Eilkompetenz" für Bundesinnen- und Bundesverteidigungsminister geschaffen werden, um Einsätze der Streitkräfte mit militärischen Mitteln im Notfall allein anordnen zu können [...]. (Quelle: Spiegel.de)


Dies ist womöglich eine dieser typischen Forderungen, die nur in einen Gesetzesvorschlag geschrieben werden, um sie in Verhandlungen mit den Pseudo-Politikern der SPD wieder "wohlwollend" und "kompromissbereit" zu streichen oder an ihnen ein wenig rumzuändern, um so dann zumindest den Kernbestandteil des Gesetzentwurfs, also die Ausrufung eines Notstandes schon vor Eintreten einer Katastrophe, durchzusetzen.

Spiegel.de setzt sich in einem Artikel mit den Folgen einer erweiterten Notstandsgesetzgebung auseinander (Hervorhebungen von mir): Pläne zur Terrorabwehr - Finger am Abzug.

Der deutsche Polizeiminister plant, das Grundgesetz zu ändern, um den Krieg gegen den Terrorismus auch im Innern zu führen [...]. Der Abschuss von gekaperten Flugzeugen und noch viel mehr soll durch eine Ergänzung des Militär-Artikels 87a in der Verfassung möglich werden. Der Minister selber hat es formuliert: Der Einsatz von Jungs Soldaten ist danach nicht nur wie bisher "zur Verteidigung", sondern auch nach innen "zur Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens" möglich. [...] Staatsrechtler, die Schäuble in kleinem Kreis um Rat fragte, haben wiederholt gewarnt: Eine so weite Ermächtigung für Militäraktionen im Innern lädt zu Missbrauch geradezu ein. Ein "Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwesens" sei abzuwehren: So oder so ähnlich waren noch immer die Begründungen von Militärs, die in einem Staat die Macht mit Gewalt an sich gerissen haben. Um so etwas auszuschließen, hatten die Autoren des Grundgesetzes nach der Wiederbewaffnung der Republik den Einsatz von Soldaten strikt auf die Landesverteidigung beschränkt. [...] Setzt der Innenminister seine Grundgesetzänderung durch, so wäre die Erlaubnis zum Abschießen von Flugzeugen das Einfallstor für eine umfassende Militarisierung der Innenpolitik. Wenn mitten im Frieden Krieg ist, hat das Verfassungsgericht seine Kraft verloren. (Quelle: Spiegel.de)


Wäre die Verabschiedung solch einer Aushebelung des Grundgesetzes machbar? Natürlich. Denn leider gibt es wie 1968 auch heute noch diese Partei namens SPD, die bei nötigem Druck alles mitmacht. Und wie 1968 so haben wir auch heute wieder eine Große Koalition. 2008, also genau 40 Jahre nach Einführung der Notstandsgesetzgebung ins Grundgesetz, könnte dann vielleicht also diese damals geschaffene, kleine Notstandsgesetz-Lücke im Grundgesetz zum Ansatzpunkt werden, um tatsächlich in gefährlicher Weise das Grundgesetz "präventiv" auszuhebeln.

Die Orwellsche Neusprech-Formulierung "Krieg ist Frieden" ist also tatsächlich auch die Formel, mit der auch das deutsche Grundgesetz an der Ewigkeitsklausel vorbei außer Kraft gesetzt werden kann. Georg Orwells in seinem Roman "1984" dargestellte Einsichten in die Funktionsweise politischer Machtausübung erweisen sich immer mehr als Beschreibung der Realität.

Noch verneint die SPD es vehement, dass sie derartige Pläne mittragen würde. Was aber sollte die gestrige Verweigerung der SPD, im Bundestag einen Antrag auf eine Regierungserklärung zur Innenpolitik mit zu unterstützen? Ich kann mir diese Verweigerung nur damit erklären, dass die SPD die Karten nicht auf den Tisch legen will. SPD-Politiker (oftmals aus der "zweiten Reihe") widersprechen zwar den wilden Plänen von Jung und Schäuble. Aber intern innerhalb der Regierung könnte die SPD längst die Pläne von Schäuble, hinter den sich ja auch Merkel offiziell gestellt hat, mittragen.

Die Öffentlichkeit wird also derzeit von der Großen Koalition an der Nase herumgeführt - vor allem von der SPD.

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