Montag, 20. November 2006

Schief, schiefer, Vorratsdatenspeicherung

Was hängt, läuft und geht also so schief? Beispielsweise das hier:

Seit ein paar Terroristen ihr Unwesen treiben, bemühen sich viele Regierungen weltweit, den Datenschutz auszuhebeln. Das Argument dahinter: Datenschutz sei Terror-Schutz. Was leider übersehen wird: Terroristen finden immer Möglichkeiten, geheim zu kommunizieren. Und sei es mittels Chats in Online-Multiplayerspielen oder mit Hilfe von Steganografie und ähnlichem Zeugs.

Mehr Überwachung aller Bürger macht die Terroristen halt einfach nur vorsichtiger. Die Bürger jedoch landen mit ihren Daten in Datenbanken. Heute können Daten in Datenbanken in Sekundenschnelle sortiert und gefiltert werden. Mit ein paar Klicks können Behörden in Windeseile Gewohnheiten, Vorlieben, Interessen, Beziehungsnetzwerke, Einkommen, politische Ansichten und Meinungen und so weiter anhand von Daten in Erfahrung bringen, die für sich genommen zunächst einmal harmlos aussehen.

Selbst wenn man den Behörden großes Vertrauen entgegenbringt, so befürchte ich, dass allein das Wissen darum, dass es den Behörden möglich ist, einen völlig auszuleuchten, ohne dass man selbst davon etwas mitbekommt, das Verhalten von jedem subtil verändert.

Behörden sind auch nur Menschen. Es muss gar nicht so weit kommen, dass einmal eine politische Partei ans Ruder kommt, die bewusst Verbrecherisches vorhat. Obwohl es in der Geschichte leider warnende Beispiele diesbezüglich genug gibt. Nein, es reicht, dass einfach Fehler passieren. Behörden machen Fehler. Die Technik ist fehleranfällig. Weil die Datenberge heute alle in digitaler Form vorliegen, reicht im Zweifelsfall ein falscher Klick mit der Maus und Millionen von Datensätzen könnten außerhalb der Behörden landen. Bei privaten Firmen z.B., die mit solchen Daten wunderbar Geschäfte machen. So etwas ist in den USA leider schon allzu häufig vorgekommen. Oder die Daten landen bei Kriminellen.

Ryan Singel und Kevin Poulsen berichten von solchen Fällen immer wieder in ihrem Weblog 27B Stroke 6 (benannt nach einem Formular im Film "Brazil", das ein Techniker benötigt, um eine Klimaanlage reparieren zu können und das leider nirgends aufzutreiben ist).

Hier einige jüngste Beispiele zu Datenunfällen in den USA:


Die Gefahren, die große Datenberge mit sich bringen, liegen also auf der Hand. Der Nutzen zur Terror-Abwehr ist zwar da, aber es wird kaum die Frage gestellt, ob man Terror-Abwehr nicht auch ohne das Sammeln von z.B. allen (!) Telekommunikationsverbindungsdaten aller (!) Bürger realisieren könnte. Die Bundesregierung plant also, dass jegliche elektronische Kommunikation der normalen Bürger ab März 2007 nicht mehr unüberwacht stattfinden soll. Heise.de berichtet z.B., dass auch anonymisierte Kommunikation nicht mehr möglich sein wird ab März 2007: Vorratsdatenspeicherung soll auch für Anonymisierungsdienste gelten. Das Weblog "Rabenhorst" erläutert weiter im Detail, warum die geplanten gesetzlichen Bestimmungen es Anonymisierungsdiensten unmöglich machen werden, weiter ihre Dienste anbieten zu können: Die Vorratsdatenspeicherung auf dem Sprung. Und: Ein Nachruf - JAP ist Geschichte.

Anonym sich im Internet bewegen zu können, ist dabei nicht etwa unsittlich oder verdächtig an sich, sondern hat durchaus seine Berechtigung. Dies macht z.B. folgender Artikel bei Heise.de deutlich: Verfolgerwahn. Den Datenbegehren der Industrie kann der Nutzer zwar auch nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung Paroli bieten - aber eben nur so lange, wie diese mächtigen Datenberge nicht versehentlich oder auf kriminellem Wege dann doch in die Hände der Industrie gelangen (siehe Beispiele oben bei 27B Stroke 6).

Beim ganzen Thema "Vorratsdatenspeicherung" hat also keine vernünftige Abwägung zwischen Kosten und Nutzen stattgefunden. Neben den hier beschriebenen Risiken fallen übrigens auch monetäre Kosten an, die in die hunderte Millionen gehen und die vielleicht an anderer Stelle ausgegeben, wesentlich effektiver zur Terrorbekämpfung hätten eingesetzt werden können.

Zusammenfassung: Eine lückenlose, umfassende, verdachtsunabhängige Überwachung der Telekommunikation aller Bürger ist schädlich, weil:
  • Die riesigen Datenberge durch Inkompetenz, menschliche Fehler, technische Fehler und kriminelle Machenschaften auch jenseits der Behörden landen können.
  • Die Speicherung der Datenberge enorme Summen kosten.
  • Der angestrebte Nutzen für die Terror-Abwehr auch sicherer und preisgünstiger erreicht hätte werden können.
  • Auch eine vollständige Überwachung aller Bürger nicht verhindert, dass Terroristen trotzdem relativ leicht Wege finden, ihre außergewöhnliche Kommunikation zu verschleiern.
  • Die umfassende Überwachung vermutlich psychologische Folgen für die Bevölkerung hat. Wer weiß, dass sein Kommunikationsverhalten minutiös aufgezeichnet wird, der verändert sein Verhalten. Ob er will oder nicht. Eine Demokratie lebt aber vom Vertrauen des Bürgers in den Staat und vom Vertrauen des Staates in den Bürger. Von den Freiheitsrechten. Von der Meinungsfreiheit. Und von der Kontrolle der Macht des Staates durch den Bürger. Dies alles ist durch die Vorratsdatenspeicherung stark gefährdet. Denn es gilt auch in diesem Fall: Wissen ist Macht. Und die Macht, die der Staat durch die Vorratsdatenspeicherung erhält, beinhaltet das absolut reale Risiko, gegen den Bürger angewendet zu werden.

Da die deutschen Medien leider kaum über das komplexe Thema Datenschutz und Vorratsdatenspeicherung berichten, muss jeder einzelne Bürger tätig werden. Z.B. vielleicht indem man bei der Aktion "Offene Briefe gegen die Vorratsdatenspeicherung" mitmacht.

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