Mittwoch, 21. März 2007

Der Bundestrojaner und Wiefelspütz' gelenkte Demokratie

Heute gab es bezüglich einer Podiumsdiskussion zwischen Politikern, Strafverfolgern, Datenschützern und Journalisten interessante Offenbarungen zu lesen. Heise.de berichtet: SPD-Sprecher: Online-Durchsuchungen kommen auf jeden Fall.

1. Offenbarung: Die Wünsche von KGB- BKA-Chef Ziercke, dass man auch wegen kleinerer Delikte die gesamte Bevölkerung flächendeckend überwachen wolle:

Er machte sich auch für die Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten angesichts eines Kinderporno-Falls in Baden-Württemberg stark, in dem 4600 Bilddateien auf einem Server rund 280.000 Zugriffe erzielt hätten. Eine Aufklärung sei nur über die Vorhaltung von IP-Adressen machbar. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


So ekelhaft Kinderpornografie ist, der reine Besitz dieser Fotos steht strafrechtlich auf einem zum Beispiel der Sachbeschädigung gleichgestellten Rang, ob man das nun mag oder nicht. Aber Ziercke fordert hier folglich die Auswertung des riesigen Berges von Daten aller Bürger, den die Vorratsdatenspeicherung anspült, auf Grund geringer Delikte und nicht nur zur Terror-Abwehr.

2. Offenbarung: Bundesdatenschützer Schaar meint zu den Wünschen von Ziercke:

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warf angesichts dieser Ausführungen die Frage auf, inwiefern sich die angestrebten Maßnahmen so "nicht doch wie ein Schleppnetz über die Gesellschaft verbreiten". Gerade bei der "IT-Überwachung" sei die Anzahl der betroffenen Personen schnell sehr groß. Wenn man den Strafrahmen für den Bezug kinderpornographischer Materialien ansetze, "haben wir hunderte Delikte, wo man Online-Durchsuchungen rechtfertigen könnte." Er sei generell gespannt darauf, "wie man das verfassungsfest formulieren will". (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


3. Offenbarung: Stefan Geiger, der Politik-Korrespondent der Stuttgarter Zeitung, führt aus, wie die geplante Vorratsdatenspeicherung aller Kommunikations-Verbindungsdaten aller Bürger die Pressefreiheit gefährdet:

Die Protokollierung der Verbindungsdaten "wird dazu führen, dass unsere Informanten sich nicht mehr melden, weil sie Angst haben, dass die Tatsache, dass sie mit uns telefoniert haben, hochkommt." (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Viel Kritik also. Von den unterschiedlichsten Seiten. Die Kritik der Wirtschaft an den zunehmenden Überwachungsmaßnahmen noch gar nicht berücksichtigt, weil die bei der Podiumsdiskussion nicht dabei war.

4. Offenbarung: Aber Wiefelspütz hält die Datenschutzdebatte trotzdem für eine "Gespensterdebatte":

Die "Gespensterdebatten" von Datenschützern und anderen Gegnern einer weiteren Befugnis zur staatlichen Bespitzelung versteht Wiefelspütz dagegen nicht. Da werde immer so getan, "als wären wir ein Überwachungsstaat". (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


5. Offenbarung: Wiefelspütz verspricht jedoch, dass es im Parlament trotzdem eine "offene, faire und transparente Diskussion" geben wird:

"Wir machen das in einer offenen und fairen Diskussion und in einem transparentem Diskussionsprozess, kontrolliert durch die Öffentlichkeit und im letzten Wort vom Bundesverfassungsgericht", erläuterte der SPD-Sprecher seinen Ansatz. (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


6. Offenbarung: Aber letztendlich gibt Wiefelspütz zu, dass dieses Debattenzeugs eh nur Theater ist, denn wie weiß Heise.de zu berichten:

Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, ließ am gestrigen Dienstag bei einer Diskussion unter dem Aufhänger "Staat surft mit" keinen Zweifel an seinem Segen für den Bundestrojaner: "Das werden wir selbstverständlich machen [...] (Quelle. Direktlink zum Textauszug.)


Und eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag ergab gerade, dass der Bundesverfassungsschutz heute eh schon das durchführt, was mit dem Bundestrojaner bald auch die Polizei können soll, wie ebenfalls Heise.de berichtet: FDP wirft Bundesregierung falsches Spiel beim Bundestrojaner vor.

Dort liest man:

Auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hatte die Bundesregierung zuvor erklärt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz schon jetzt das Recht zum heimlichen Ausspähen von vernetzten PCs und geschützten Datenspeichern im Internet habe. [...] "Offenbar hat die Regierung die Öffentlichkeit in der Diskussion um Online-Durchsuchungen bisher getäuscht", beklagen der FDP-Innenexperte Hartfried Wolff und die innenpolitische Sprecherin der Faktion, Gisela Piltz, nun in einer gemeinsamen Stellungnahme angesichts des Anlegens zweierlei Maß in Berlin. Die Bundesregierung erwecke mit ihrer Aussage zum Einsatz des Bundestrojaners für den Verfassungsschutz den Verdacht, dass sie – ohne ausreichende gesetzliche Grundlage – umfangreicher als bisher zugegeben Online-Durchsuchungen praktiziert habe. (Quelle. Direktlink zum Textauszug: Teil 1, Teil 2.)


Also, Mensch... Woran erinnert mich das alles nur? Ah, ich habs!

7. Offenbarung: Russland.

Zunehmende Überwachung der gesamten Bevölkerung, Gefährdung der Pressefreiheit durch den Staat und die Sicherheitsbehörden. Aber vor allem die Vortäuschung einer "offenen, fairen und transparenten Diskussion" im von der neuen Einheitspartei (Unions-SPD) kontrollierten Parlament. Und ein Diskussions-Ergebnis, das von vornherein feststeht. Ja, so sieht sie aus, die neue deutsche "gelenkte Demokratie" nach russischem Vorbild.

Aber es wird ja alles "durchs Bundesverfassungsgericht kontrolliert", so Wiefelspütz... Komisch nur, dass das gar nicht stimmt. Denn das Verfassungsgericht kontrolliert nicht selbsttätig. Da muss erst jemand kommen, dem diese gelenkte Demokratie und ihre Entscheidungen gegen den Strich gehen und der da Verfassungswidrigkeit wittert. Der darf dann nach der Verabschiedung des Gesetzes eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Und wenn er (und das deutsche Volk) Glück haben, das Verfassungsgericht nicht überarbeitet ist und die Sache als juristisch interessant genug ansieht und man bei der Klage auch keinerlei Formfehler begangen hat, dann nimmt sich das Verfassungsgericht der Klage an und entscheidet dann zwei, drei Jahre später.

Und wie es dann im Detail entscheidet und welche mehr oder weniger stark einschränkenden Vorgaben die richterlichen Worte dann wiederum für die Politik machen... das dauert. Bis dahin kann die neue deutsche Einheitspartei aus SPD und Union schalten und walten wie sie mag und das Theater sogenannter "offener, fairer und transparenter Diskussionen" weiter treiben.

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