Donnerstag, 22. März 2007

Werfen Juden allen sofort Antisemitismus vor? Nö.

Schon einmal was von dem Trick der "Antisemitismus-Vorwurf-Diffamierung" gehört? Er geht ungefähr so: Eine Jüdin oder ein Jude kritisiert irgendwas, was überhaupt nichts mit Antisemitismus zu tun hat und auch von der Jüdin oder dem Juden nicht behauptet wird. Zum Beispiel eine Frau Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden, kritisiert, nicht zu einer Pressekonferenz in München zur Eröffnung des dortigen Jüdischen Museums eingeladen worden zu sein. Die Süddeutsche Zeitung berichtet beispielsweise darüber: Streit um Charlotte Knobloch.

Man kann die Kritik von Frau Knobloch nun gerechtfertigt finden oder nicht, sie auf das Temperament oder den Charakter von Frau Knobloch zurückführen oder das ganze eben als Missverständnis zu erklären versuchen und damit abhaken.

Von keiner Seite jedoch gab es Vorwürfe, dass die Nicht-Einladung irgendwelche antisemitischen Gründe gehabt hätte.

Ein Streit zwischen Juden und Nichtjuden wegen irgendwas ist für manche, eigentlich unbeteiligte Zuschauer am Rande jedoch eine wunderbare Gelegenheit, mit diesem Streit ihre eigene politische Agenda zu unterfüttern. Hier kommt die oben erwähnte "Antisemitismus-Vorwurf-Diffamierung" ins Spiel. Die am Streit Unbeteiligten behaupten einfach direkt oder indirekt, die Juden hätten ihrer streitenden Gegenseite irgendwo und irgendwann Antisemitismus vorgeworfen. Stimmt zwar nicht, aber auf diese Art und Weise kann man nun als unbeteiligter Dritter wiederum den Juden eins reinwürgen und klagen, dass die ja ständig mit Antisemitismusvorwürfen um sich werfen würden.

Die "Antisemitismus-Vorwurf-Diffamierung" geht damit in die gleiche Richtung wie das Klagen darüber, dass Deutschland sich doch nun intensiv genug mit dem Holocaust beschäftigt hätte, dass man das doch nun mal auf sich beruhen lassen sollte und dass die Juden überhaupt überall viel zu viel Einfluss genießen würden.

Ein zuverlässiger Unterstützer und Lieferant solcher Unterstellungen ist zum Beispiel Politblog.net.

Vielleicht unterliegen solche Leute wie die von Politblog.net einfach tatsächlich dem Missverständnis, dass Juden indirekt alle Deutschen am Holocaust schuldig sprechen wollten. Vielleicht sind diese Leute politisch einfach ungebildet und meinen zum Beispiel ganz ehrlich, dass Juden und Israel einen zu großen politischen Einfluss besitzen würden und die Politik der USA zum Beispiel in direkter Weise durch Lobbyisten und Geheimdienstler aus Israel gelenkt würde und verkennen hierbei, dass die vorhandene Israelfreundlichkeit bei mindestens mehr als der Hälfte der US-Bürger mit der dortigen Ausprägung des christlichen Glaubens zu tun hat. Neben US-eigenen Interessen, eine Demokratie und ein entwickeltes Land zu stützen, ist es vor allem dieser christlich-religiösen Hintergrund, der Israel-Lobbyisten - ob nun direkt aus Israel in Form von Diplomaten oder Geheimdienstlern, ob aus der jüdischen US-Gemeinde oder ob aus dem christlichen Lager - offene Türen in den USA einrennen lässt.

Ich möchte hoffen, dass Missverständnisse die Ursache sind. Denn das würde bedeuten, dass solche Leute wie von Politblog.net und anderswo Argumenten zugänglich sein müssten, die den von ihnen wahrgenommenen, angeblichen großen Einfluss der Juden und Israels auf die deutsche oder amerikanische Innen- und Außenpolitik und auf die allgemeine Weltpolitik relativieren.

Das Gefährliche an der "Antisemitismus-Vorwurf-Diffamierung" ist, dass sie suggeriert, Juden würden vorschnell den Vorwurf des Antisemitismus erheben. Erheben Juden dann tatsächlich einmal den Vorwurf des Antisemitismus, wollen sie also irgendwo tatsächlichen Antisemitismus erkannt haben, wird dieser Vorwurf dann vorschnell als "ungerechtfertigt" abgeschoben. Und genau darauf lassen zum Beispiel die Kommentare bei Politblog.net oder dort verlinkte andere Weblogs schließen. So ist man schnell dabei, zum Beispiel Vorwürfe von jüdischer Seite gegen Polizei-Schüler, die sich weigerten über den Holocaust etwas zu lernen, als übertrieben abzuwerten.

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4 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Hallo Solon,

ich bin über den Trackback auf eure Seite gestoßen. Als Mitautor bei Politblog.net will ich mich zu eurem Artikel hier äußern.

Zunächst einmal sind wir bei Politblog.net ein Gemeinschaftsblog, und die Ansichten der diversen Autoren sind nicht immer identisch.

In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass der von euch verlinkte Artikel bezüglich Knoblochs Eklat mit der Stadt München von dem Autor "hagbard" ist, während andere Beiträge zum Thema Israellobby etc. von anderen Autoren sind, auch von mir.
Einzelne Formulierungen des einen Artikels müssen also nicht zwingenderweise die Ansicht aller Politblog.net-Autoren wiedergeben.

Nun zur ersten inhaltlichen Sache: Wenn du/ihr meine Artikel zum Thema Israellobby lesen würdet dann würdest du/ihr unschwer erkennen, dass ich für meinen Teil überhaupt nicht den Zusammenhang zwischen christlichem Zionismus und Israelunterstützung "verkenne".

Falls dies durch das Lesen eines einzigen Artikels den Anschein haben sollte dann will ich hiermit betonen dass der christliche Teil der Israellobby genauso wichtig ist wie der jüdische.

Darüberhinaus weisen ich und andere Autoren mehr als nur sporadisch darauf hin, dass die Ziele der Israellobby sich in weiten Teilen mit denen des Militärisch-Industriellen Komplexes der USA und dem PNAC decken.

Auch hier wird also das Bild vom kleinen Israel/der jüdischen Lobby, die das große Amerika im Griff haben, von unserer Seite aus ganz klar relativiert.

Für weiteren Diskurs stehe ich gerne zur Verfügung.

Anonym hat gesagt…

Noch eine Anmerkung zum Titel dieses Artikels hier: Es wird sowieso nie unterstellt dass "ALLE" Juden die Antisemitismuskeule schwingen. Ganz im Gegenteil, und nicht nur wir bei Politblog.net führen oft jüdische Gruppen an, die sich von eben dieser Praxis des Antisemitismusvorwurfs und der ihn verwendenden Lobbygruppen zu Recht distanzieren.

Solon hat gesagt…

Danke für deine Klarstellungen. Die Artikelüberschrift sollte herausstellen, dass ich mit der Aussage deines Mitautors "hagbard" in diesem Fall nicht übereinstimme und dass ich es eher als absolute Ausnahme ansehe, dass von jüdischer Seite allgemein vorschnell Antisemitismusvorwürfe erhoben werden.

Du relativierst zwar den Einfluss der jüdischen Lobby in den USA, aber er ist ja dennoch ein großes Thema in deinem Weblog. Das hatte mich irritiert. Aber warum soll es auch nicht Thema sein? Jeder hat halt "sein" Thema. Manche schreiben über den Einfluss des fundamentalistischen, saudischen Königshauses auf die US-Politik, andere über Israels Einfluss und wieder andere über den historischen Einfluss der Irokesen (ernsthaft) oder der Franzosen auf die politische Kultur in der Geschichte der USA.

Anonym hat gesagt…

Hallo Solon,

danke für die schnelle Antwort.

"Du relativierst zwar den Einfluss der jüdischen Lobby in den USA, aber er ist ja dennoch ein großes Thema in deinem Weblog. Das hatte mich irritiert."

Vielleicht kann ich hiermit noch mehr klarstellen:

http://politblog.net/arbeitsehtos

In der Tat schreibe ich viel über die Israellobby, aber es ist nicht Ziel unseres Blogs ausschließlich darüber zu schreiben. Gerne würden wir Analysen zur saudischen Lobby oder beispielsweise auch zur türkischen veröffentlichen.

"dass ich es eher als absolute Ausnahme ansehe, dass von jüdischer Seite allgemein vorschnell Antisemitismusvorwürfe erhoben werden."

Noch ein Wort zu diesem Phänomen, das schlimme ist ja auch dass auch Leute, die selbst keine Juden sind, mit solchen Vorwürfen kommen. Denn wir wir jetzt ja schon diskutiert haben ist israelische Aggressionspolitik Ziel mehrerer wichtiger Gruppierungen bzw. kommt denen gelegen. Deshalb wird Kritik an dieser Politik auch gern aus anderen Lagern als nur dem Jüdischen so abgetan, ähnlich wie ja auch vieles einfach als "antiamerikanisch" abgetan wird.

Es sollte also auch bei der Debatte solcher Vorwürfe nicht allein über Juden gesprochen werden.

In jedem Fall ist das Thema äußerst heikel und wird, das ist völlig klar, auch von vielen Rechten und anderen Kräften missbraucht. Auf exakte Formulierungen etc. ist also zu achten und von daher finde ich Kitik wie hier geäußert auch wichtig zur Selbstreflexion.