Donnerstag, 19. April 2007

Schäuble-Katalog: Nun steht es 2:0 für Schäuble

Die politischen Auseinandersetzungen rund um die Vorstöße von Schäuble, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden zu erweitern, offenbaren das grundlegende demokratische Defizit des politischen Systems in Deutschland: Die Parteiendemokratie.

Anders als in den USA spielen in Deutschland einzelne Politiker keine starke Rolle. Die politische Diskussion in Deutschland macht sich zwar auch immer fest an einzelnen Personen, aber die sind letztendlich austauschbar und das gleiche politische Konzept wird dann halt durch den Nachfolger verfolgt und umgesetzt. Das Übel sind in Deutschland die Parteien und ihre Macht. Der Wähler muss jedoch eine Partei wählen. Er kann kaum einzelne Politiker gezielt wählen, damit die ihr Programm und ihre persönliche Integrität auf der politischen Bühne präsentieren können.

Im Grunde genommen können die Parteien in Deutschland machen was sie wollen. Versagen sie - wen soll man anschließend wählen?

Wären jedoch alle Abgeordneten durch den Bürger direkt wählbar und gar die/der Bundeskanzler, dann sähe die Politik in Deutschland schon ganz anders aus. Da müssten Politiker plötzlich tatsächlich auf den Willen des Volkes hören auch zwischen den Wahlen. Das System der USA ist beileibe nicht perfekt. Aber durch das stärkere Inanspruchnehmen des einzelnen Politikers hat der Wähler einen viel direkteren Einfluss und kann Politiker so auch direkt abstrafen.

Es gibt somit eigentlich in Deutschland selbst eine sogenannte repräsentative Demokratie nicht. Es gibt eine Parteiendiktatur.

Selbst der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker und bedeutende Rechtsgelehrte sehen das so. Näheres hierzu beispielsweise in diesem Internet-Artikel: Allmacht der Parteien.

Die Auseinandersetzungen um Schäubles Vorschläge zeigen erneut, wie in diesem Land Politik gemacht wird: Schäuble kann das, was er sagt, nur sagen, weil die Partei hinter ihm steht. Und noch mehr kann Schäuble nur so beredt schweigen, weil seine Partei hinter ihm steht. Denn das Problem mit Schäubles Aussagen ist nicht, dass er Tacheles redet, sondern dass er genau dies nicht tut. Er leiert rum, was das Zeug hält. Er lässt seine politischen Gegner mit dieser Taktik ins Messer laufen. Denn versuchen sie ihn zu kritisieren, dann kann Schäuble antworten, dass er doch gar nichts Schlimmes gesagt habe. Und doch sagt er das Schlimme in aller unklaren Klarheit. Aber da er selbst nichts politisch wirklich zu verantworten braucht, braucht er sich und seine Pläne auch nicht konkreter zu verteidigen. Polemik reicht. Es reicht aus, den politischen Gegner einfach als "naiv" zu titulieren und fertig. Müsste Schäuble sich wirklich um den Wähler und seine Meinung kümmern, so müsste er endlich einmal eingehen auf die konkreten Bedenken gegen seine Überwachungspläne. Da der Wähler jedoch weiß, dass ihn eh keiner fragt, ist dieser auch dementsprechend uninteressiert an der ganzen Sache. Mit der Folge, dass auch unsere Medien sich nicht unter Druck sehen, den ganzen Schmu ihren Kunden einmal genauer darzulegen. Siehe beispielsweise meine Erläuterungen zur Tagesschau-Sendung von gestern.

Und wenn Schäuble sich doch einmal vergallopieren sollte, dann kommt halt Bosbach oder Beckstein oder sonst ein anderer Nachfolger, der genau die gleiche Politik fortsetzt.

Auch das Verhalten der SPD und von Teilen der FDP spiegelt die Unverantwortlichkeit der Agierenden wider, die so nur möglich ist, weil die Parteien sie decken. Näheres hierzu erläutert in lesenswerter Weise Thomas Klotz im RA-Blog: Freiheit statt Angst. So können jetzt zwar einzelne Personen innerhalb der SPD gegen Schäubles Pläne protestieren, aber sie haben nichts zu entscheiden oder werden vielleicht gar von der Partei als Bauernopfer vorgeschickt. Es sind meist Leute aus der zweiten Reihe, die sich so mal etwas profilieren dürfen auf Bundesebene, für den Preis, dass sie mit ihren Forderungen anschließend innerhalb der Partei untergehen. Die SPD zahlt zwar für diesen unglaubwürdigen Kurs einen Preis in Form sinkender Umfragewerte, aber da es auf Bundesebene nur fünf Parteien gibt, von denen für die meisten Bürger aus psychologischen Gründen meist nur jeweils maximal zwei alternativ wählbar sind, wird die SPD auch bei der nächsten Regierung wieder beteiligt werden - und sei es als 25%-Partei.

Die Polemik hinter Schäubles Vorgehen erläutert sehr gut ausnahmsweise Mal ein Artikel bei Spiegel.de: Schäubles Pläne irritieren Ministerin Zypries.

Darin:

Die Empörung war groß, stellt die Unschuldsvermutung doch den Kernbestand des Rechtsstaates dar. Politiker von SPD, Grünen, FDP und Linkspartei reagierten sofort und forderten den Innenminister auf, auf den Boden der Verfassung zurückzukehren. Doch was hat Schäuble eigentlich gemeint? Sein Sprecher erklärte, der Minister habe nur auf den Unterschied zwischen Strafrecht und Gefahrenabwehr hinweisen wollen. Tatsächlich, das bestätigt jeder Jurist, gilt eine Unschuldsvermutung nur vor Gericht, nicht jedoch bei der Prävention von Straftaten. Somit hätte Schäuble nur eine juristische Binsenweisheit von sich gegeben.

Aber ist der Satz wirklich so harmlos? Oder will Schäuble nicht doch die Regeln für die Ermittler so lockern, dass sie künftig auch bei einem Generalverdacht gegen jemanden aktiv werden können? Die vage Äußerung bot breiten Raum für Interpretation. [...] Gerade weil Schäuble seit Tagen schärfere Gesetze fordert, fällt die Unschuldsvermutung in seinem Fall schwer.

FDP-Innenexperte Max Stadler nannte Schäubles Äußerung "polemisch", weil er nicht darauf hingewiesen habe, dass Ermittlungen immer auf einem begründeten Anfangsverdacht basieren müssen. Das sei wohl kalkuliert, argwöhnte der Liberale gegenüber SPIEGEL ONLINE. (Quelle)


Fazit: Es wird hier ein politisches Spiel mit der öffentlichen Meinung betrieben, bei dem es nicht um eine aufklärende, faire Diskussion politischer Vorschläge geht, sondern es geht um Täuschungen. Politisch durchsetzbar ist dies nur, weil wir in Deutschland eine Parteiendiktatur haben. Es geht allein um die Inszenierung und das Vorspielen einer politischen Diskussion statt um das argumentative Ausfechten von unterschiedlichen Lösungen - sei es, um anschließend einen Konsens zu finden oder aber die eigene Position noch deutlicher als zuvor von der Gegenposition abzugrenzen. Warum sonst bleibt Schäuble in seinen inzwischen zahlreichen Interviews so vage? Warum sonst besteht die Hälfte seiner Äußerungen aus Vorwürfen, dass seine politischen Gegner schlicht naiv seien und dass die Onlinedurchsuchung einfach nötig sei und "basta"? Warum sonst fabuliert er etwas von Aufheben der Unschuldsvermutung, wo er doch genau weiß, dass das bei der Strafverfolgung nicht möglich ist und bei der Gefahrenabwehr gar kein Thema ist? Warum sonst eierten die SPD-Leute bis jetzt so rum? Es ist ein allgemeines Drücken vor politischer Verantwortung. Selbst von den heutigen Oppositionsparteien muss man annehmen, dass sie ähnliche Gesetzesvorhaben wie die von Schäuble mittragen würden, wenn sie an der Regierung wären. Wie beispielsweise die FDP: In Nordrhein-Westfalen ist sie mit in der Regierung und prompt verabschiedet sie dort das Gesetz, nach dem der NRW-Verfassungsschutz Onlinedurchsuchungen durchführen darf. Und auch bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik gleichen sich die Parteien in ihrem Handeln, sobald sie an die Macht kommen. Von den vorher im Wahlkampf versprochenen programmatischen Leitlinien verabschiedet man sich mittlerweile in atemberaubenden Tempo und ohne auch nur den Hauch eines schlechten Gewissens. Wie formulierte es Müntefering im letzten Jahr? Ungefähr so: Er fände es unfair, dass man den Parteien nach der Wahl vorwerfen würde, die Versprechungen aus dem Wahlkampf nicht einzuhalten...

Die Konsequenzen, die man aus diesen Erkenntnissen ziehen muss? Eigentlich bräuchte es ein neues politisches System in Deutschland. Entweder durch direkteren Einfluss der Wähler auf die Volksvertreter oder durch mehr Elemente der direkten Demokratie. Das jetzige politische Modell Deutschlands steht jedoch langfristig vor seinem Ende. So wie jetzt wird es nicht weitergehen. Denn die von den Medien unabhängige Meinungsbildung der Bürger durch das Internet wird zunehmend zu einer immer stärkeren bewussten Ablehnung des aktuellen politischen Systems bei immer mehr Bürgern führen. Unbewusst lehnen bereits viele das System ab. Sie wissen aber vermutlich selber nicht warum oder können es noch nicht erklären.

Wie kann ein bestehendes System wie die deutsche Parteiendiktatur in ein demokratisches System umgewandelt werden? Mir erscheinen nur zwei Wege als gangbar: Paradoxerweise die Gründung einer neuen Partei, die sich die Abschaffung der Parteiendiktatur konsequent als wichtigstes Ziel auf die Fahnen schreibt oder eine große, außerparlamentarische Protestbewegung innerhalb der Bevölkerung, die mit allen möglichen Mitteln die bestehenden Parteien zwingt, das System grundlegend zu verändern.

Ich befürchte jedoch, dass dies für lange Zeit noch eine Utopie bleibt. Die politische Meinungsbildung durch das Internet hat ja erst begonnen. Und noch können viele Menschen gut leben mit ihrem geringen politischen Einfluss. Wird jedoch die Politik der Parteien zu bürgerfeindlich, könnte es doch irgendwann zu einem Leidensdruck führen, der zu einem Aufbegehren gegen das heutige politische System führt.

Bis dahin heißt es aufzuklären und mit den bestehenden Beschränkungen umgehen zu lernen, um doch schlimmste Auswüchse der Parteienpolitik abzumildern. Mal sehen, ob die Medien, politisch Aktive außerhalb der Parteien wie Bürgerrechtsgruppen oder Berufsvereinigungen wie Anwaltsverein, Wirtschaftsvereinigungen und Journalistenvereinigungen genug Einfluss ausüben, um innerhalb der Parteien weitere Unterstützer zu sammeln gegen eine Politik, die die Bürgerrechte immer weiter abbauen will.

Wegen Schäubles gelungener Polemik in dem nun überall zitierten Stern-Interview (mehr zu dem Interview unter anderem bei Lawblog.de), bei der seine politischen Gegner nun in das Messer liefen und auf seinen Trick mit der Forderung nach Aufhebung der Unschuldsvermutung hereinfielen, steht es zur Zeit jedoch leider eindeutig 2:0 für Schäuble.

Warum es bislang schon 1:0 für Schäuble stand, erläutere ich hier.

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