Dienstag, 17. April 2007

Zauberspruch "Ich distanziere mich..."

Thilo Baum hat einen hervorragenden Artikel verfasst über den Unsinn, dass ein Politiker in Deutschland alles mögliche sagen kann, wenn er anschließend nur kurz angebunden in ein Mikro flüstert, dass er sich von seinen Aussagen distanziert: Mythos Distanzierung.

Was für einen Quatsch lassen wir Bürger uns eigentlich gefallen von diesen Politiker-Heinis? "Ich distanziere mich".... und schon kann man alles sagen und alles zuvor Gesagte vergessen machen?

Thilo Baum schreibt:

Wenn Oettinger sich von dem, was er gesagt hat, distanziert, scheint er seine Meinung geändert zu haben. Schließlich distanziert man sich nicht von etwas, was man vertritt. Hat Oettinger seine Meinung geändert? Seltsamerweise lese ich nirgendwo einen O-Ton Oettingers: "Mensch Leute, ihr habt Recht! Wie konnte ich mich nur so irren. Ich habe Herrn Filbinger leider mit Pastor Niemöller verwechselt. Oh, das tut mir aber Leid. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich werde meinen Redenschreiber umgehend rüffeln." Das lesen wir nicht. Wir lesen: "Ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles gesagt worden ist." (Quelle)


Und ich wette, dass unsere ach so kritischen deutschen Medien jetzt plötzlich alle wieder ganz, ganz schnell Ruhe geben werden. Oettinger hat sich ja "distanziert".

Noch einmal Thilo Baum:

Lasst uns die Distanzierung im Strafprozess einführen. Richter fragt Angeklagten: "Distanzieren Sie sich von der Nötigung und der Beleidigung im Straßenverkehr mit 1,2 Promille?" Angeklagter: "Ich distanziere mich davon und glaube, dass damit alles gesagt worden ist." Richter: "Na dann - Freispruch." (Quelle)


Thilo Baum fragt anschließend zu Recht, was für ein Bild Oettinger eigentlich von den Bürgern Deutschlands hat.

Dass neben der Union auch der SPD der Rummel um Oettinger gar nicht recht war, ist logisch. Denn zur Zeit bilden SPD und Union eine einzige große Regierung. Und Regierungen mögen keine Unruhe, in die Mitwirkende an der Regierung (und die Ministerpräsidenten sitzen natürlich indirekt mit im Kabinett) verstrickt sind. Und unseren Medien ist es vermutlich auch recht: Keine Kontroversen bedeutet weniger Arbeit und Aufregung. Die Wähler und Kunden jedoch werden sich dieses Verhalten merken. Dafür sorgt zunehmend auch das Internet. Ein gesetzter Link zu einem aussagereichen Artikel und die ganze Oettinger-Filbinger-Geschichte ist wieder da... Das ist das Schöne am Internet.

Auch wenn Oettinger weiterhin in dumpfen, rechtskonservativen Baden-Württembergischen Unionskreisen nachhaltigen Rückhalt hat, Kanzlerkandidat kann Oettinger zumindest nicht mehr werden. Selbst wenn zehn Jahre oder mehr verstreichen sollten. Denn zumindest dank Internet sind alle Details seiner Aussagen und die vielen unterschiedlichen Meinungen dazu auch in zehn Jahren noch von jedem Internetnutzer ohne irgendeinen großen Aufwand genau nachzulesen. Auch wenn heute das Internet nur wenige Deutsche bereits so nutzen, um sich ein breiteres Bild zu machen, so wird es langsam aber sicher die Politikverdrossenheit mindern. Denn Politikverdrossenheit entsteht durch Hilflosigkeit, durch das Erleben, dass man gar keinen Einfluss auf Politik und Medien hat. Da die Meinungshoheit der Medien durch das Internet mehr und mehr angekratzt wird, könnte und sollte auch die Politikverdrossenheit abnehmen und ein sich selbst verstärkendes politisches Interesse einsetzen.

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