Freitag, 17. August 2007

Besserer Mensch durch gesperrte Handy-Schnittstellen

Manchmal erscheinen einem die deutschen Medien wie alte Damen, die schon etwas dement beim täglichen Kaffeekränzchen die Welt sich so zurechtlegen, wie sie sie von ihrem Tischchen im Café aus meinen wahrnehmen und verstehen zu können.

Dieses Gefühl der eklatanten Unzulänglichkeit bei der Berichterstattung tritt bei deutschen Medienkonsumenten vor allem auf bei Themen, die irgendwie mit "Technik" zu tun haben, gar mit "Kommunikationstechnik". Dann wird es richtig grausam. Dann werden in deutschen Medien oftmals Behauptungen aufgestellt, die eher darauf schließen lassen, dass auch ein wenig Hochprozentiges im Kaffee war.

So behauptet die Frankfurter Rundschau/DPA frech in Bezug auf neue Sperrmöglichkeiten der Übertragungsschnittstellen (Bluetooth und Infrarot) bei Handys (die Meldung wird wie üblich bei der Frankfurter Rundschau in wohl einigen Tagen online gelöscht worden sein):

Mit den Schnittstellen zum kostenlosen Tausch von Inhalten tauchte auch das Phänomen des "Happy Slapping" auf. (Quelle)


Und unwidersprochen wird weiter berichtet:

"Da besteht schon die Gefahr, dass jemand verprügelt wird, nur weil es die technische Möglichkeit gibt, das zu verbreiten", räumt der Mobilfunk-Chef ein. (Quelle)


Ach wirklich? Die Schnittstellen bei Handys sind also die Ursache für Übergriffe von Jugendlichen auf wehrlose Opfer ("Happy Slapping")? Erstaunlich, dass das die Frankfurter Rundschau/DPA einfach so weiß. Woher nur? Irgendwo muss es geheime Studien geben, von denen nur sie und kein Sozialwissenschaftler sonst auf der Welt weiß. Mysteriös!

Die besondere Vorgehensweise, Gewalt auf Video aufzunehmen, mag durch Handy-Cams begünstigt werden. Aber dass Jugendliche überhaupt auf den Gedanken kommen, gewaltsam gegen Opfer vorzugehen, wird wohl kaum alleine durch das Vorhandensein einer Handy-Cam ausgelöst werden. Wie müsste man sich ansonsten dann die jugendliche Gewalt vor Erfindung von Handy-Cams erklären?

Viel wahrscheinlicher ist wohl, dass vorhandene Gewalttendenzen und Gewaltwünsche durch Handy-Cams nur eine besondere Form annehmen. Vielleicht verringern Handy-Cams sogar weitere körperliche Übergriffe auf das Opfer, da die Gewalttat ja auf Video gebannt ist und die Gewalttäter sie so jederzeit wieder vergegenwärtigen können? Es könnte natürlich genauso sein, dass die Jugendlichen, die eh gewaltbereit sind, zusätzliche Motivation erhalten, weitere Opfer zu suchen. Dann würden wenige Jugendliche mehr Gewalttaten begehen, jedoch nicht insgesamt die Anzahl gewaltbereiter Jugendlicher größer werden. Wer weiß?

Aber jeder ist ja sein eigener Psychologie- und Pädagogik-Experte. Was braucht man da Fachleute und Studien? Hat nicht jeder schon erfahren, wie eine anwesende Kamera die Situation und das Verhalten verändert? Na, eben. Also wird aus friedlichen Jugendlichen logischerweise allein durch Handy-Cams und Übertragungsmöglichkeiten der Videos gewalttätige Jugendliche. Wirklich völlig logisch. Zumindest anscheinend für leicht angesäuselte Journalisten.

Ich vermute hinter der Sperre dieser Datenübertragungs-Schnittstellen durch Handy-Anbieter eher kommerzielle Interessen der Netzbetreiber. So können die Jugendlichen bei Sperrung dieser Schnittstellen auch keine Klingeltöne oder Logos oder harmlose sonstige Bilder mehr kostenlos an den Netzbetreibern vorbei auf ihre Handys kopieren und müssen nun dieses Zeug wie möglicherweise irgendwelche selbstgedrehte Videos durch kostenpflichtige MMS aufs Handy übertragen.

Aber liebe Medien, da müsst ihr noch einiges mehr an Propaganda der Netzbetreiber und Unions-Politiker raushauen, bis die Eltern diesen Quatsch glauben. So doof sind die nämlich nicht, um diesen Kommerz-Trick nicht zu durchschauen. Denn Eltern sind, was Technik (und Kindererziehung) betrifft, weitaus intelligenter als so manche einsamen, lebensfremden, alten Journalisten-Zausel hinter ihren mechanischen Schreibmaschinen, die die Jugend auf Schulhöfen nur betrachten als eine Meute von gewalttätigen, pornosüchtigen, gefährlichen Subjekten, die mittels Verboten und Überwachungsmaßnahmen im Zaum gehalten werden muss. Bis diese Subjekte dann logischerweise 18 Jahre alt sind und über Nacht wie durch Zauberhand zu vertrauenswürdigen, disziplinierten Erwachsenen werden und keinerlei Verbote und Sperren mehr benötigen.

Das Prinzip des Erwerbs von Medienkompetenz als pädagogische Aufgabe ist aber auch viel zu schwierig zu verstehen für manche/viele Journalisten und auch - sieht man sich die Kommentare zu der neuen Handy-Sperrmöglichkeit von Seiten der Schulvertreter an - für die meisten Lehrer. Verbote und Überwachung besitzen in Deutschland hohes Ansehen. Andere Völker glauben daran, dass Schamanentänze den Wind veranlassen, Regen herbeizubringen. Deutsche glauben daran, dass jedes Problem durch ein Verbot, Sperren und Zensur aus der Welt geschafft werden kann. So hat eben jedes Völkchen seine Marotten.

Nachtrag: Auch Mario Sixtus echauffiert sich über die unkritische Weiterverbreitung der PR der Handyhersteller und Netzbetreiber in dieser Sache durch Journalisten: Vodafone macht Übertragung von Gewaltvideos kostenpflichtig.

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