Samstag, 18. August 2007

Deutsche lieben das Rückständige

Ich gebe zu: Früher sträubte ich mich dagegen, bettelnden Leuten in der U-Bahn oder vorm Supermarkteingang Geld zu geben. Bei den "Supermarkt-Bettlern" konnte man häufig sehen, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Alkoholiker handelte. Meine Befürchtung war, dass jeder gespendete Euro sofort wieder in Alkohol umgesetzt werden würde. Bei den Bettlern in der U-Bahn handelte es sich häufig um gutgekleidete Musikanten mit teuren Instrumenten, die zudem bereits von anderen Passagieren meist ordentlich Geld bekamen.

Die Situation hat sich verändert. Die heutigen Bettler sind keine spezielle Gruppe von Leuten mehr. Man sieht in der Großstadt alle Altersschichten und die unterschiedlichsten Personentypen betteln. Die meisten still und verschämt.

Ich gebe pro Tag nun - so ich auf einen Bettler treffe - immer mindestens einen Euro, ohne mir die Person näher anzuschauen. Der Gründe für ihre mießliche Lage sind heute genug vorhanden. Ein kleiner Fehler der Betroffenen reicht heute aus und die erbärmlichen Hartz-IV-Almosen werden für einen oder mehrere Monate gänzlich gestrichen. Ohne Rücksicht auf Verluste. Aber Fehler sind gar nicht nötig. Es reicht, als Hartz-IV-Empfänger krank zu werden und die Kosten für die nötigen Taxifahrten zum Arzt nicht erstattet zu bekommen, wie der Deutschlandfunk darstellt.

Es ist ein erheblicher kultureller und gesellschaftlicher Rückschritt, den Deutschland in den letzten Jahren unter Rot-Grün und nun unter der großen Koalition vollzogen hat. Das Gebot des Almosengebens unter Muslimen empfand ich immer als recht zwiespältig - einerseits empfand ich es als fortschrittlich, andererseits als rückständig. Almosengeben ist ein Fortschritt, wenn sich zuvor um Arme gar nicht gekümmert worden war. Aus Sicht des modernen Sozialstaates jedoch erscheint mir das Almosengeben als unwürdig - sowohl für den Geber als auch den Empfänger. Denn Almosen helfen nicht wirklich. Ihnen wohnt vielmehr die Gefahr inne, die Armut der Betroffenen zu zementieren.

Hartz IV jedoch ist inzwischen nichts weiter mehr als ein unzuverlässiges staatliches Almosen. Von den Versprechen, es mit umfangreichen, wirkungsvollen Fördermaßnahmen zu verbinden, ist nichts geblieben. Hartz IV hat somit die Armut noch stärker als zuvor die Sozialhilfe zementiert. Der Sozialstaat ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Und da selbst Hartz IV teilweise ganz gestrichen werden kann und manchen Menschen absolut jegliche Unterstütztung vom Staat verweigert werden kann, muss man heute das private Almosengeben und das islamische Gebot zum Almosengeben leider wieder als etwas "Fortschrittliches" ansehen. Man könnte sagen: Das sogenannte christliche Abendland (das schon länger nur noch ein pseudochristliches Abendland ist - welcher sogenannte "Christ" kennt sich denn heute noch aus in "seiner" Religion?) sollte sich schämen. Aber ob nun Christ, Muslim, Atheist oder Ich-weiß-nicht-was-ich-glaube-Typ, die Vorteile eines Sozialstaates benötigen zur Rechtfertigung eigentlich keinen religiösen Hintergrund. Der gesunde Menschenverstand und etwas Menschenliebe reichen aus, um seine Vorteile zu erkennen und den neoliberalen Dreck, der immer zum Inhalt hat, dass es den regulierenden, helfenden Staat nicht braucht, als schädlich für die Gesellschaft und somit die große Masse der Menschen zu entlarven.

2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Bullshit, selbst bei Totalverweigerung von Arbeit wird die Wohnung weiter bezahlt - und statt Geld bekommt man dann (Lebensmittel-)Gutscheine. Jammern auf hohen Niveau ohne Hintergründe zu kennen. Nicht mehr und nicht weniger.

Solon hat gesagt…

Bullshit? Ah ja, sehr gepflege Ausdrucksweise.

Dann ist dies wohl schlicht Falschberichterstattung? Also ich lese da, dass ALG-II-Empfängern bei einer dritten Pflichtverletzung alle Leistungen (samt Geld für Miete und Heizung) gestrichen werden - und zwar für volle 3 Monate. Auch für Strom, Telefon und Krankenkasse fehlt diesen Betroffenen dann das Geld. Und bei nur zwei Pflichtverletzungen werden ihnen von den 345 Euro im Monat wohl bereits 60 Prozent gestrichen.

Ein gesunder Mensch mit geregeltem Leben kann sich vielleicht nicht vorstellen, warum ein ALG-II-Empfänger irgendwelche Pflichtverletzungen begehen sollte bei derart drastischen Folgen. Leider handeln Menschen oftmals nicht rational, sondern sind beeinträchtigt in ihrem vernünftigen Handeln beispielsweise durch Krankheiten (psychische wie physische).

Aber du scheinst ja ein sehr genügsamer Mensch zu sein. Wer braucht schon im Fall der Fälle, wenn sämtliche Bezüge gesperrt werden Strom, Kleidung, Pflegeartikel, Tickets für den öffentlichen Nahverkehr, Telefon und so weiter.

Was auch übersehen wird: Oftmals laufen ja Verträge (beispielsweise für Telefon und Strom) weiter. Der ALG-II-Empfänger kann diese dann nicht mehr erfüllen und es enstehen ihm so durch Mahnungen oder gar Bußgeldverfahren viele weitere Kosten.

Aber bitte, du scheinst ja Ahnung zu haben, vielleicht ist das ja auch alles ganz anders. Ich bin gespannt mehr zu erfahren.