Donnerstag, 30. August 2007

Sind wir noch sicher... vor diesem Staat?

Eine Presseschau bei Zeit.de zu den Reaktionen in den Medien auf die Antworten des Bundesinnenministeriums auf SPD-Fragen zur geplanten Online-Durchsuchung ("Bundestrojaner") schließt mit den Worten:

Das Eindringen in private Festplatten ist ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitssphäre. Präzise Gesetze und richterliche Überwachung sind dafür unabdingbar. Gänzlich verzichten auf diese Instrument kann der Staat jedoch nicht. (Quelle: Zeit.de)


Kann er also nicht? Interessant. Ein Urteil. Einfach so am Ende der Presseschau. Nicht als eigene Meinung gekennzeichnet. Sondern einfach so. Kann er nicht. Das sind die deutschen Medien, wie ich sie liebe. Wissen alle Bescheid. Da gibt es intensive Auseinandersetzungen, Kritik und Bedenken von allen möglichen Experten, die abraten von der Online-Durchsuchung. Und Zeit.de schreibt einfach: Egal, man kann nicht drauf verzichten.

Dabei ist die Online-Durchsuchung eben gar kein mächtiges Instrument, auf das man nicht verzichten könnte. Weil Leute, die etwas Ahnung haben, sich ihr leicht entziehen könnten. Das wirklich Schlimme an der Online-Durchsuchung ist die geistige Haltung, die hinter diesen Plänen sichtbar wird: Man schaut nicht auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Würden die Leute im Bundesinnenministerium hier ideologiefreier hinschauen, müssten sie zugeben, dass allein schon der Schaden an Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Behörden wesentlich größer ist als jeder mögliche Nutzen, den die Erlaubnis zur Online-Beschnüffelung mit sich bringen könnte.

Das Besondere an der Online-Durchsuchung gegenüber anderen Ermittlungsmethoden ist, dass sie wesentlich stärker als eine Hausdurchsuchung die Privatsphäre verletzen kann, weil Daten heimlich abgegriffen werden. Dass ihr technischer Erfolg sehr, sehr unsicher ist, dass ihre Ergebnisse manipuliert sein könnten und dass sie kaum gegen technisch versierte Verdächtige eingesetzt werden kann. Und dass ihr pures Vorhandensein als Möglichkeit bei vielen Bürgern Misstrauen erweckt. Je häufiger die Online-Durchsuchung eingesetzt werden könnte, beispielsweise durch eine Verbesserung ihrer technischen Methoden, desto mehr würde in der Bevölkerung das Misstrauen gegenüber dem Staat steigen - weil die Durchsuchung so unsichtbar ist, weil sie so tiefgreifend in die Privatsphäre eindringt, weil manche Bürger bei merkwürdigen Vorgängen in ihrem Computer schnell auf den "Bundestrojaner" schließen würden. Und je weniger häufig die Online-Durchsuchung eingesetzt werden würde, desto geringer wäre ihr Nutzen zu bewerten. Ein Argumentationskreis, der zwingend dazu führt, diese ominöse Online-Durchsuchung ganz sein zu lassen. Mein eindeutiges Fazit lautet also: Ja, man kann nicht nur auf die Online-Durchsuchung verzichten, man muss sogar auf sie verzichten, weil der Schaden ihres Einsatzes den Nutzen überwiegt.

Wenn das BKA und die Bundesanwaltschaft derart locker bei ihren Ermittlungen mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit umgehen wie beispielsweise im Fall Andrej H., oder wenn - wie so häufig in Deutschland - Richter selbst bei kleinsten Verdachtsmomenten sofort den Wünschen der Ermittlungsbehörden nachgeben und einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung unterschreiben wie bei den Hausdurchsuchungen im Vorfeld des G8-Gipfels, wo die Anwaltschaft "nur mal gucken wollte, ob sie vielleicht was Interessantes findet" oder wie bei diesem von Rechtsanwalt Melchior in seinem Weblog berichteten Fall, wo mal eben eine Wohnung durchsucht wird, weil jemand behauptet, der Wohnungseigentümer hätte ein Moped im Wert von 200 Euro unterschlagen, dann entsteht bei vielen Menschen in Deutschland kein Gefühl von mehr Sicherheit, sondern von wachsendem Misstrauen gegenüber dem Staat. Sieht man sich dann noch diese Unverfrorenheit an, mit der das BKA und das Bundesinnenministerium gegen alle Kritik ihre Pläne für die Online-Durchsuchung weiter verfolgen und gar aus der Union oder aus Reihen der politisch eigentlich zur Neutralität verpflichteten Strafverfolger Vorwürfe laut werden, dass jeder, der gegen die Online-Durchsuchung sei, Terroristen schützen wolle, dann muss man sagen: Der politische Schaden durch die Pläne zur Online-Durchsuchung ist bereits jetzt größer als jeder mögliche eventuell irgendwann einmal bei ein, zwei Fällen eintretende Nutzen. Rechtsanwalt Udo Vetter sieht dies ähnlich:

Wenn die Pläne allerdings so weit gehen, dass der Bürger künftig jeder Mail und jedem Onlineangebot einer Behörde mit doppelter Skepsis begegnen, die Mail im Zweifel zurückgehen und das Onlineangebot ungenutzt lassen wird, ist der Schaden für die E-Republik Deutschland schon eingetreten - bevor der erste neue Bundestrojaner überhaupt geschnüffelt hat. Will man wirklich eine Fronstellung Behörden - Bürger, ein Klima des permanenten Misstrauens im Umgang mit den Behörden? [...] Die Erfahrung lehrt aber, dass alle technischen Überwachungsmöglichkeiten früher oder später immer mehr Anwendungsfälle finden. Das weiß natürlich auch der BKA-Chef. Aber tricksen und täuschen gehört heute offenbar zum Staatshandwerk. Siehe oben. (Quelle: Lawblog.de)


Das eigentliche Problem bei der Online-Durchsuchung ist also vor allem ihr politischer Kollateralschaden und das wachsende Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Staat. Dieses Misstrauen wächst dabei nicht proportional zu den realen Möglichkeiten der Online-Durchsuchung, sondern ist wohl eher bestimmt durch den politischen Umgang mit diesem Thema und durch die Unbekümmertheit, mit der derzeit die Strafverfolgungsbehörden oftmals das Gebot der Verhältnismäßigkeit bei ihren Ermittlungen ignorieren.

Die Online-Durchsuchung ist hier zu einer Art Symbol geworden für diesen Ungeist in Teilen der Union und bei Teilen der Strafverfolgungsbehörden. Technisch weit gefährlicher ist jedoch die kommende Vorratsdatenspeicherung. Sie birgt Risiken, die den Einsatz jedes Bundestrojaners noch bei weitem überwiegen. Und auch hier schweigt sich die Politik bekanntlich zu den Risiken aus.

Einen lesenswerten Kommentar zu der ganzen Lächerlichkeit des "Bundestrojaners" auf der einen Seite und zur Gefährlichkeit der Vorratsdatenspeicherung auf der anderen Seite liefert Erich Moechel bei "Futurezone" vom ORF: Lachnummer "Kommissar Trojaner".

Darin:

Das innerbürokratische Frage-und-Antwort-Spiel zur Computerüberwachung minderbemittelter Krimineller mit hohem Aufwand liest sich nachgerade "kottanesk" [...] Während auf einem derartigen technischen Niveau über den Einsatz von Polizei-Trojanern diskutiert wird, werden in Deutschland wie in Österreich Überwachungssysteme umgesetzt, gegen die der Polizei-Trojaner wie eine Lachnummer aussieht. [...] Über die Möglichkeiten des Missbrauchs dieser Verkehrsdaten sind europaweit bereits zwei aktuelle Fälle, die mit dem Selbstmord des jeweiligen Netzwerk-Sicherheitschefs begannen, aktenkundig, beziehungsweise gerade vor Gericht. In Italien wurden Verkehrsdatensätze der Telecom Italia von Polizisten, dem Vizechef des Militärgeheimdienstes SISMI und Telekomtechnikern an den Meistbietenden en Gros verkauft. (Quelle: Futurezone.ORF)


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