Mittwoch, 29. August 2007

Bundestrojaner: Weitere Ungereimtheiten bei Antworten vom Bundesinnenministerium

Schon gestern gab es ja einige Reaktionen in einzelnen Weblogs auf die öffentlich gewordenen Antworten des Bundesinnenministeriums auf Anfragen der SPD-Fraktion und des Bundesjustizministeriums hinsichtlich des von Schäuble geplanten "Bundestrojaners" (siehe dazu mein gestriger Weblog-Eintrag "Antworten auf SPD-Fragen: Bundestrojaner weiterhin unsicher, Schäuble weiterhin gefährlich"). Kai Raven hat nun noch einmal genauer hingeschaut und weitere Ungereimtheiten gefunden: Die BMI Antworten zur "Online-Durchsuchung" an die SPD. Zum Beispiel:

  • Trotz mancher rhetorischer Kniffe (zum Beispiel wahlweise, je nachdem wie es gerade argumentativ passt, die heimliche Onlinedurchsuchung entweder als Pendant zur normalen Hausdurchsuchung darzustellen oder gerade nicht als Pendant darzustellen), wird deutlich, dass die Online-Durchsuchung sehr wohl Daten erhebt, die zum grundgesetzlich geschützten Kerbereich der persönlichen Lebensgestaltung gehören.
  • Deswegen wird wohl der Einsatz eines Richters nötig sein, der den Datenwust anschließend sichtet. Nur ist dadurch der Schutz der Privatsphäre gesichert? Kann man Dinge noch als "privat" bezeichnen, die schon durch Richterhände gingen?
  • Bezweifelt werden muss auch, dass die Strafverfolger kein Interesse an Liebesbriefen, Tagebüchern oder ähnlichem hätten, wie vom Bundesinnenministerium behauptet. Wird doch zugleich dargestellt, dass zur Vorbereitung der Online-Durchsuchung eine umfangreiche Analyse der Lebensgewohnheiten und der Kontaktpersonen gehören soll.
  • Hinsichtlich der Frage danach, ob die zur Online-Überwachung eingesetzte Software nicht selbst missbraucht, von Kriminellen eingesetzt oder die IT-Sicherheit sonst wie gefährden würde, findet man in den Antworten des Bundesinnenministeriums nur unglaubwürdige und vage Antworten.
Der entscheidende Punkt ist und bleibt: Mit dem bestehenden Grundgesetz wäre die vom Bundesinnenministerium angedachte Online-Durchsuchung nicht vereinbar. Die Antworten aus dem Bundesinnenministerium versuchen zwar mit rhetorischen Kniffen den Zugriff auf die Computerdaten als ganz normal und innerhalb der bestehenden Rechtsordnung möglich darzustellen, aber bei genauerem Hinsehen bleibt es schlicht und einfach dabei, dass dort heimlich und unkontrolliert umfangreiche Daten von Bürgern durchwühlt werden, die zum Kernbereich der Privatsphäre gehören. Wenn das Bundesinnenministerium es schaffen sollte, durch schlichte Umformulierungen und "Neusprech" die Onlinedurchsuchung der SPD schmackhaft zu machen, dann würden Begriffe wie "Privatsphäre", "Informationelle Selbstbestimmung" und "Unverletzlichkeit der Wohnung" gänzlich zu leeren Worthülsen werden.

Wie formuliert es Kai Raven passend:

Das BMI und das BKA kann bei verdeckten Online-Durchsuchungen mit einer Software, die mehr oder weniger grob und automatisch Daten sichtet und erfasst oder auf der Tastatur eingetippte Texte abgreift, nicht garantieren, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und schon gar nicht, dass nicht in den Kernbereich des Privaten eingegriffen wird. Die Online-Durchsuchung würde mehr als Regel- denn als Ausnahmefall immer gegen die Wahrung dieser Grundrechte verstoßen (müssen). (Quelle: Rabenhorst)


Ich denke, das Bundesinnenministerium weiß, dass sie die Online-Durchsuchung letztlich nicht schönreden kann. Es bleibt dabei, dass sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist. Deshalb auch die Rede von Schäuble, dass man mit der bisherigen Rechtsordnung Terroristen angeblich nicht angemessen bekämpfen könne und die jetzige Rechtsordnung deshalb geändert werden müsse (siehe dazu mein oben erwähnter gestriger Weblog-Eintrag oder auch den älteren Eintrag "Chaoten im Anzug: Der Schäuble-Geist"). Und noch einmal diesbezüglich mein Hinweis: Schäuble spricht ganz bewusst von der Rechtsordnung als ganzer und nicht von einzelnen Gesetzen oder gar Details, die man verändern müsste im Grundgesetz. Die besondere Behandlung von Verdächtigen, sei es die umfassende Verletzung des geschützten Kernbereichs ihrer Privatsphäre, seien es langfristige Internierungen (Stichwort "Guantanamo") oder gar Tötungen auf Verdacht sind alle nicht etwa deshalb nicht möglich, weil im Grundgesetz einige Details fehlen, sondern weil sie dem gesamten Geist und Sinn des Grundgesetzes diametral entgegenlaufen. Es bräuchte meiner Einschätzung nach also wirklich einer Veränderung der gesamten Rechtsordnung, um den Bundestrojaner auf gesetzeskonforme Weise Realität werden zu lassen. Die Antworten des Bundesinnenministeriums auf die Fragen der SPD offenbaren, dass der Bundestrojaner technisch nicht in der Lage ist, die derzeitigen gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen und wohl auch von sich aus nie dazu in der Lage sein wird.

Sowohl das Konzept einer Online-Durchsuchung als auch die Vorstellung, manche Verdächtige (Terror-Verdächtige, Mafia-Verdächtige, Kinderpornographie-Verdächtige) anders zu behandeln als "normale" Verdächtige, haben einen großen Denkfehler: Diese Konzepte sind nicht vereinbar mit der bestehenden Realität. Die Online-Durchsuchung kann technisch niemals so realisiert werden, dass sie rechtsstaatlich funktioniert, weil die derzeitige Natur der Informationstechnologie dies unmöglich macht. Die besondere Behandlung ausgewählter Verdächtiger kann so niemals realisiert werden, weil die derzeitige Natur unseres Grundgesetzes dies unmöglich macht.

Und die Online-Durchsuchung kann niemals so realisiert werden, dass einigermaßen ausgefuchste Terroristen ihr nicht ohne größere Probleme und ohne größeren Aufwand dennoch ausweichen können. Wie schon in meinem ersten Weblog-Artikel zu diesem Thema vor gut einem dreiviertel Jahr vermutet, bleibt es meiner Meinung nach dabei, dass Opfer einer derartigen Online-Durchsuchung eher unbedarfte Kleinkriminelle oder eben zu Unrecht Verdächtigte werden dürften, die Windows verwenden, die E-mail-Anhänge öffnen ohne beim Absender nachzufragen und mit aktiviertem Java, Javascript und Active-X sich auf Webseiten des Bundesinnenministeriums herumtreiben. Das macht das Vorhaben einer Online-Durchsuchung für kompetente Computernutzer vielleicht lächerlich, aber leider nicht weniger gefährlich. Denn auch inkompetente Computernutzer haben ein Recht auf Wahrung ihrer Grundrechte.

Spannend wird, wie es jetzt weiter geht. Werden die Ausflüchte des Bundesinnenministeriums bezüglich der technischen Mängel des Bundestrojaners wohlwollend von der SPD oder später gar vom Bundesverfassungsgericht übersehen werden? Oder wird der Bundestrojaner nun zu Grabe getragen? Oder erleben wir in den nächsten Wochen eine Neuauflage der Schäubleschen Forderungen nach einer grundlegenden Änderung unserer Rechtsordnung?

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