Sonntag, 14. Oktober 2007

Fragt mal in eurem Bekanntenkreis...

Der kleine Mitmach-Tipp zum mittelspäten Sonntag-Nachmittag:

Einfach mal dumm die Leute um einen herum fragen, was eigentlich ein Rechtsstaat ist.

Aber Vorsicht! Eine eventuell sich anschließende Diskussion könnte Unions-Wähler eventuell in Identitätskrisen stürzen.

Wie könnte sowas aussehen. Vielleicht so:

Nachmittags im Auto. Es findet sich kein Gesprächsthema. Auf einmal fragt Jan:

Jan: Du?

Mitfahrer(in): Jaaa?

Jan: Was genau ist eigentlich ein Rechtsstaat? Ich meine: Was bedeuetet "Rechtsstaat"?

Mitfahrer(in): Hä?

Jan: Ja. Jetzt mal im Ernst.

Mitfahrer(in): Ja, also. Rechtsstaat heißt, dass der Staat das Recht durchsetzt. So mit Polizei und Verhaftung und so.

Jan: Aber das macht man in Diktaturen doch auch, oder? Sind Diktaturen dann also auch Rechtsstaaten?

Mitfahrer(in): Diktaturen haben kein richtiges Recht. Da passiert das alles willkürlich. Also sind sie auch kein Rechtsstaat.

Jan: Also du meinst, richtiges Recht wäre dann ein Recht, das nicht willkürlich mal so und mal so ausgelegt und angewendet wird?

Mitfahrer(in): Ja, genau. Alles immer schön nach Gesetz und Recht und in geregelter Weise. Das ist ein Rechtsstaat. Ist doch einfach. Was soll das Gefrage?

Jan: Na ja, ich will das halt mal gerade durchdenken. Man geht ja oft so etwas wischiwaschi mit Begriffen um - oft ohne genau zu wissen, was sie bedeuten. Also nochmal zurück zum Rechtsstaat: Was heißt das eigentlich, in geregelter Weise Gesetz und Recht anwenden?

Mitfahrer(in): Wie? In geregelter Weise? Na, was soll das schon heißen? Immer gleich halt. So wie es vorgeschrieben ist.

Jan: Was jetzt vorgeschrieben ist? Vorgeschrieben, wie die Polizei mit beispielsweise Verdächtigen umzugehen hat?

Mitfahrer(in): Ja. Zum Beispiel.

Jan: Also würde der Rechtsstaat auch beinhalten, dass die Polizei sich an die Regeln halten muss?

Mitfahrer(in): Ja, Mensch. Sag ich doch. Du nervst.

Jan: Also wäre der Rechtsstaat vor allem dadurch gekennzeichnet, dass man als Bürger auch Rechte hat gegenüber der Polizei zum Beispiel? Also dass die einen nicht willkürlich festnehmen können, oder?

Mitfahrer(in): Sag mal, stellst du dich nur so dumm, oder was ist los?

Jan: Na, wie gesagt, es geht mir nur darum, diesen Begriff mal festzuklopfen.

*Pause*

Jan: Aber was ist eigentlich, wenn man der Polizei immer mehr erlaubt, ganz ohne große Verdachtsanhaltspunkte gegen Bürger vorzugehen? Ist das dann immer noch ein Rechtsstaat? Und ab wann wird aus einem Rechtsstaat ein Unrechts-Staat? Und gibt es überhaupt einen Unrechts-Staat? Also wäre es beispielsweise immer noch ein Rechtsstaat, wenn der Polizei laut Gesetz erlaubt wäre, einfach so Bürger zu verhaften? Da würde sich die Polizei ja ans Gesetz halten, wenn sowas im Gesetz drinstehen würde und erlaubt wäre.

Mitfahrer(in): Also wenn der Polizei das nach dem Gesetz erlaubt ist, einfach Bürger so zu verhaften, dann wäre das natürlich immer noch ein Rechtsstaat. Wäre ja nach dem Gesetz erlaubt.

Jan: Und worin bestände dann wieder der Unterschied zu einer Diktatur?

Mitfahrer(in): Im Rechtsstaat wäre solch ein Gesetz auf demokratische Weise zustande gekommen und nicht einfach 'ne Anordnung von einem Diktator.

Jan: Aber würde so ein Gesetz denn auf demokratische Weise zustande kommen können? Schließlich würden da ja dann die Bürger quasi ihre eigenen Rechte gegenüber der Polizei aufgeben, wenn die Polizei sie einfach so verhaften darf?

Mitfahrer(in): Tja, dann würde sowas wohl in einer Demokratie nie Gesetz werden.

Jan: Heißt das, dass man nur auf die Art der Gesetze, die so verabschiedet werden, gucken müsste, um daran zu erkennen, ob wir noch in einer Demokratie leben?

Mitfahrer(in): Hä? Ach so, du meinst, wenn die Gesetze der Polizei immer mehr erlauben, dass das dann eventuell daran liegen könnte, dass die Demokratie vor die Hunde geht, weil die Leute eigentlich keine sie drangsalierenden Gesetze wollen?

Jan: Ja, so in etwa.

Mitfahrer(in): Hm. Vielleicht. Muss ich mal drüber nachdenken.


Ziel des Gesprächs erreicht. ;-)

Gut, das oben ausgedachte Gespräch war jetzt natürlich sehr schablonenhaft. Aber ich befürchte, dass viele Menschen meinen, ein Rechtsstaat sei halt schlicht ein Staat, in dem einfach nur das Recht durchgesetzt wird. Dass es bei einem Rechtsstaat jedoch vor allem auch um die Frage geht, wie Gesetze zustande kommen und um die Frage, wie sich der Staat korrekt gegenüber dem Bürger verhalten muss, wie also der Bürger vor zu weitreichenden Eingriffsrechten des Staates geschützt wird, an diese beiden Fragen wird häufig nicht gedacht. Ist zumindest meine Beobachtung. Und wer weiß, vielleicht kann man ja durch so eine schlichte Frage nach dem, was ein Rechtsstaat eigentlich ist, ganz zwanglos den ein oder anderen zum (kurzen oder langen) Nachdenken bringen. Das könnte schon reichen, um die "Immunabwehr" der Leute in Gang zu bringen, so dass sie nicht mehr ganz so schnell auf manche politischen Rattenfänger hereinfallen. Schaden kann so ein Gespräch nicht. Normalerweise jedenfalls. Von Schadensersatzforderungen gegen mich, wenn das Gespräch anschließend zur Scheidung führte, bitte ich jedoch abzusehen.

3 Kommentar(e):

lieblingsbank hat gesagt…

zum thema:

"Das Rechtssystem ist der lange geglückte Versuch, den Massen die Ungleichheit und Ausbeutung der Menschen als vermeintlich natürlichen Zustand zu verkaufen. Das Recht schützt und fördert die Starken, während es die Schwachen bestraft und unterdrückt - nicht mehr und nicht weniger. So wird das Recht zur kodifizierten Ungerechtigkeit, welche unsere heutige Gesellschaft geradezu monströs prägt."
http://www.perspektive2010.org/blog/2007/09/08/spruch-des-tages-100/

lg die liebe bank

Anonym hat gesagt…

Die Demokratie ist die denkbar schlechteste Staatsform, mit Ausnahme aller derer, die wir vorher ausprobiert haben. Ok. Jetzt mal ernsthaft: Dein Ziel halte ich für falsch, denn sicher hat Dein Gesprächspartner immer noch nicht den Unterschied zwischen Präventiv- und Rechtsstaat erfasst und wird das vermutlich auch nicht, da das Diskussionsende mehr nach "Du Recht. Ich Ruhe." schmeckt. Allerdings ist Dein Ansatz ebenso nicht ganz korrekt. Auch in einem Rechtsstaat kann die Exekutive theoretisch unbegrenzte Befugnisse haben. Das ist solange immer noch rechtsstaatlich, wie diese nicht verdachtsunabhängig und nur verhältnismäßig zum Zuge kommen. Allerdings ist im Zuge der, von der neuen Mitte eingeläuteten Re-Konservativierung genau diese Schranke mehrfach durchbrochen worden. Nine-Eleven hatte übrigens nur beschleunigende Wirkung, keine ursächliche. Mir stellt sich allerdings vielmehr die Frage, ob dieses Vorgehen nicht sogar erwünscht ist. Ich denke nämlich, dass Otto-Normal-Uninformierter eben doch die "starke Hand" wünscht. Irgendwann muss man sich damit abfinden, dass wir in einem Land mit Volk-Eins-Null leben.

Solon hat gesagt…

@lieblingsbank: Auf manche konkreten Rechtssysteme mag die Aussage des Zitats zutreffen. Aber irgendein Rechtssystem wird ja benötigt. Anarchie, also die Abwesenheit eines klar definierten Rechtssystems, liefe ja schlicht auf lange oder kurze Sicht auf die Herrschaft jener Leute raus, die sich auch ohne Gesetze durchsetzen können, sprich die Gewalttätigen, mit Waffen ausgestatteten oder die Reichen. Da kann die Mehrheit der Bürger noch so friedliebend sein, gerade bei der heute zur Verfügung stehenden (Waffen-)Technik reichen wenige skrupellose Menschen aus, um anarchistische Zustände sofort in einen diktatorischen Zustand umzuwandeln.

Dass es ein Rechtssystem gibt, sagt jedoch noch nichts darüber aus, ob es auch gut ist. Ein Rechtsstaat ist jedoch bereits ein besonderes Rechtssystem und nicht irgendein Rechtssystem. Rechtsstaat heißt, dass alle Staatsgewalt rechtlich geregelt ist und nicht der Willkür unterliegt. Also auch nicht das Ändern der Rechtsordnung oder einzelner Gesetze der Willkür der Exekutive unterliegt. Gäbe es hier beispielsweise keine funktionierende Gewaltenteilung, käme es sofort zur Willkür und es handelte sich dann nicht mehr um einen Rechtsstaat.

@falkd: In dem dargestellten Gespräch wollte ich berücksichtigen, dass man oftmals in Gesprächen nicht ans erwünschte Ziel kommt. Das ist häufig so im Alltag. Aber selbst ein unvollkommenes Gespräch, bei dem nicht alle politischen Probleme durchgewälzt werden und bei dem der Gesprächspartner nicht zu einhundert Prozent verstanden hat, was man eigentlich ansprechen will, kann meiner Meinung nach schon ein Gewinn sein. Man kann ja später noch einmal auf das Thema zurückkommen - beispielsweise, wenn man gerade gemeinsam vorm Fernseher sitzt und Schäuble reden hört, wie die anderen alle "unverantwortlich" seien... Dann kann man das Gesprächsthema ja wieder aufnehmen.

Besser, man regt vorsichtig zum Nachdenken an, ohne jemanden zu vergraulen oder zu überfordern. Ist zumindest mein Stil. Und vor allem Freunde oder Familienangehörige mögen es gar nicht, wenn man im "Predigerton" loslegt. Solch ein "Predigerstil" mag an anderer Stelle in anderen Situationen (Demonstrationen, Weblog-Einträge, Flugblätter...) angebracht sein, aber im Bekanntenkreis wirkt das eher kontraproduktiv.

Es gibt also sicherlich bessere = gehaltvollere Gesprächsverläufe als den dargestellten. Das dargestellte Gespräch soll also kein Prototyp, kein Idealbild sein, sondern ein Abbild einer typischen Alltagssituation. Wer setzt sich schon jenseits politischer Aktionsgruppen im Alltag mit seinen Bekannten gezielt mit genug Zeit irgendwo hin, um jetzt mal komplexe, politische Themen durchzuarbeiten? ;-)

Falkd, du schreibst: "Auch in einem Rechtsstaat kann die Exekutive theoretisch unbegrenzte Befugnisse haben." - Es ist eben genau die Frage, ob es sich tatsächlich noch um einen Rechtsstaat handeln kann, wenn die Exekutive beispielsweise ohne große Hindernisse bei der Strafverfolgung vorgehen kann, dann wuchtet auch das letztendlich die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Judikative und Legislative aus. Selbst wenn die Befugnisse auf rechtsstaatliche Weise zustande gekommen sind. Deshalb gibt es ja die Verfassung mit gesetzlichen Richtlinien, die nicht überschritten oder abgeändert werden dürfen, selbst auf demokratisch-rechtsstaatlichem Wege nicht (es sei denn, man schreibt eine komplett neue Verfassung).

Ein ausgewachsener Präventionsstaat wäre genau auch aus diesem Grund kein Rechtsstaat, weil ein Präventionsstaat genau darauf hinausläuft, dass die Exekutive überbordende Machtfülle bekäme, um beispielsweise präventiv Leute zu verhaften. Insofern denke ich schon, dass man automatisch auch gegen die Etablierung eines Präventionsstaates arbeitet und argumentiert, wenn man versucht, den Leuten klar zu machen, was eigentlich ein Rechtsstaat ist.

Man könnte in weiteren Gesprächen noch thematisieren, wie "Sicherheit" und "Freiheit" miteinander zusammen hängen. Warum also der Bürger beispielsweise nicht einfach so dem Staat vertrauen sollte. Warum also eine überbordende Machtfülle der Exekutive eine Gefahr wäre und nicht zu mehr Sicherheit führen würde. Und so weiter. Das Imaginieren solcher möglicher Gespräche überlasse ich gerne der Fantasie meiner geschätzten Leser. :-)