Freitag, 2. November 2007

Wo sind die Op-Eds von Nicht-Politikern und Nicht-Journalisten?

Es gibt in den deutschen Medien meiner Meinung nach viel zu wenige Gastkommentare von Persönlichkeiten, die keine Politiker oder keine Journalisten sind und nicht von einer Lobbyorganisation bezahlt werden oder für eine Lobbyorganisation arbeiten.

Es gibt also zu wenige ausführliche Kommentare zu aktuellen, umstrittenen politischen Themen von beispielsweise Professoren, Richtern, Wirtschaftsunternehmern, Vertretern von Nicht-Regierungs-Organisationen, Künstlern oder sonstigen bekannten Persönlichkeiten.

In englischsprachigen Zeitungen liest man jeden Tag Gastkommentare solcher Menschen. Diese Kommentare sind häufig die interessantesten, weil die Kommentatoren unabhängig sind von Politik und Mediengeschäft und mit ihrem eigenen Blick politische Themen bewerten und nicht mit einem durch Parteipolitik oder Medienagenda vernebelten Blick.

Wäre es nicht schön, wenn sich mehr Richter, Wissenschaftler, Unternehmer und Künstler und so weiter einmal in Zeitungen, Magazinen, im Radio oder Fernsehen oder auf den Internetseiten der etablierten Medien beispielsweise über die geplante Vorratsdatenspeicherung äußern würden oder über Schäubles Pläne für einen Umbau des Rechtsstaates?

Ich meine, dass hier ein erhebliches Potenzial brach liegt, das die Medien noch wesentlich intensiver nutzen könnten, indem sie gezielt Personen für einen Gastkommentar ansprechen, die sich auf ganz anderen Gebieten als Politik oder Mediengeschäft verdient gemacht haben und die auch nicht insgeheim von einer Lobbyorganisation wie beispielsweise der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" oder irgendwelchen Think-Tanks bezahlt werden. Stattdessen hört oder liest man immer die gleichen Interviews mit den gleichen wenigen Leuten, die einmal in die Datenbanken der Journalisten gelangt sind und nun zum immer gleichen Thema immer wieder befragt werden oder auch einmal selbständig einen eigenen Kommentar dazu veröffentlichen dürfen.

Es fehlen mehr unabhängige Stimmen im öffentlichen Diskurs.

Und ja, ich weiß, ich höre schon den Einwand, dass es doch nun Blogger gäbe und die würden doch unabhängig sein. Aber ich vermute, dass ein kritischer Kommentar beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung, beispielsweise von einem bekannten Unternehmer oder einem Richter an einem Oberlandesgericht zur geplanten Vorratsdatenspeicherung oder zur Terror-Hysterie bedeutend größere Aufmerksamkeit erhalten würde, als ein Blog-Eintrag von Bürger XY. Das macht den Blogeintrag nicht unwichtig, keineswegs, aber der Blogeintrag kann eben solche Wortmeldungen von prominenteren Menschen an prominenteren Stellen auch nicht ersetzen.

Und ja, ich weiß, ich höre schon den Einwand, dass viele Verbände und bekannte Persönlichkeiten sich doch im "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" zusammengeschlossen hätten. Aber auch hier kann dieser Zusammenschluss nicht einzelne, prominente Wortmeldungen ersetzen.

Und ja, ich weiß, ich höre schon den Einwand, dass viele wichtige Persönlichkeiten im Land vermutlich aus Unwissenheit die Vorratsdatenspeicherung oder die Terrorpanik für richtig halten. Woher und wie sollten sie sich auch eine andere Meinung gebildet haben bei der täglich in Tagesschau und Co. übertragenen Flut an "herrschender Meinung" in Form der Politikerworte aus SPD und Union? Aber irgendwo muss es doch auch unter den Menschen, die eine Stimme von "Gewicht" jenseits von Politik und Mediengeschäft haben, Leute geben, die die aktuelle innenpolitische Entwicklung kritisch verfolgen.

Oder ist es die Angst der deutschen Medien, hier Meinungsmacht, Deutungshoheit und Agendasetting-Power an Dritte abzugeben? Und sei es nur in einzelnen Kolumnen oder Kommentaren?

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