Donnerstag, 1. November 2007

Schäuble: Geheimdienste wichtigstes Mittel für Stabilität der Gesellschaft

Zeit.de berichtet von einer Tagung des Bundesnachrichtendienstes (BND). Obwohl Bundesinnenminister Schäuble in Bezug auf seinen Aufgabenbereich nichts mit dem BND zu tun hat, wurde er als Redner eingeladen. Und wer bislang Schäuble für ungefährlich hielt, sollte spätestens nach seiner Rede vor dem BND eines Besseren belehrt sein.

So soll Schäuble laut Zeit.de dargestellt haben, dass die Geheimdienste der eigentliche Garant für die Stabilität unserer Gesellschaft seien. Nicht nur Garant für einen stabilen Staat, ein stabiles Staatswesen oder eine handlungsfähige Regierung, nein für die Gesellschaft insgesamt:

Überhaupt scheint Schäuble die Vorgaben des demokratischen Rechtsstaates für eher hinderlich zu halten. Denn anschließend sagte er etwas, was in dem Saal voller Geheimdienstler zu spontanem Applaus führte: "Wir sollten die Leistungsfähigkeit des Bundesnachrichtendienstes nicht durch parlamentarische Untersuchungsausschüsse gefährden." Schließlich seien die Informationen, die er beschaffe, "lebensnotwendig". Und sie seien das wichtigste Mittel, um die Stabilität unserer Gesellschaft zu gewährleisten. Den Nachrichtendiensten "unlautere Absichten zu unterstellen", sei deshalb geradezu "unredlich". (Quelle: Zeit.de)


Ich wiederhole: Die Geheimdienste seien also das wichtigste Mittel, um die Stabilität unserer Gesellschaft zu gewährleisten.

Nicht die Polizei, nicht das Rechtssystem, nicht eine unabhängige Justiz, nicht freie und geheime Wahlen und nicht das politische Ziel der Herstellung einer Chancengleichheit für alle Bürger seien also laut Schäuble die wichtigsten Mittel, um die Stabilität unserer Gesellschaft zu gewährleisten, sondern die Geheimdienste.

Ausgerechnet die Geheimdienste! Die unkontrolliert von der Öffentlichkeit vor sich hin werkeln, sich häufig nicht an Recht und Gesetz halten, die Privatsphäre und Menschenwürde der Bürger verletzen, häufig aus purem Eigeninteresse heraus vor allem den eigenen Apparat schützen wollen und Desinformationen verbreiten (siehe BND-Untersuchungsausschuss) und häufig von der Regierung selbst kaum ausreichend kontrolliert werden können und so die rechtsstaatliche Ordnung in ihrem Tun häufig eher gefährden als schützen. Und Schäuble fordert, die Geheimdienste sollten noch weniger kontrolliert werden als jetzt schon!

Außerdem tut Schäuble so, als ob die Trennung zwischen Geheimdienst und Polizei etwas Exotisches, Ungeheuerliches sei und aufgehoben werden müsse:

"Manche halten das Trennungsgebot fast schon für einen Verfassungsgrundsatz", sagte der Innen- und Verfassungsminister. Er habe es aber im Grundgesetz nicht gefunden. Die Abgrenzung von Polizeiarbeit und Spionage, von an Gesetzen gebundenen offenen und von geheimen, konspirativen Ermittlungen, eine Lehre aus der NS-Zeit, steht tatsächlich nicht im Grundgesetz. Es wurde jedoch vom Bundesverfassungsgericht schon vor vielen Jahren aus diesem abgeleitet. Zu Schäubles Ärger offensichtlich. Denn, so sagte er, die Wirklichkeit halte sich nicht an diese klare Trennung. Und der demokratische Rechtsstaat dürfe sich dem Wettkampf mit den Gefährdern nicht verweigern. (Quelle: Zeit.de)


Es ist jedoch natürlich genau umgekehrt. Gerade die Beschränkung der Befugnisse der Geheimdienste sorgt für Stabilität. Schäuble weiß dies natürlich. Deshalb muss man leider annehmen, dass ihn andere Beweggründe treiben als die Verbesserung der "Stabilität der Gesellschaft". Wer weiß, in welche seltsamen Netzwerke Schäuble eingebunden sein mag. Ich habe jedenfalls kein Vertrauen mehr zu diesem Mann!

Die Beschränkung der Macht der Geheimdienste, die Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei also, und die Trennung von Außenverteidigung und Innerer Sicherheit, von Militär und Polizei also, haben bekanntlich etwas mit der für eine Demokratie grundlegenden und eine Demokratie stabilisierenden Gewaltenteilung zu tun: Die überbordenden Überwachungsbefugnisse der Geheimdienste werden ganz bewusst dadurch in ihrer Macht etwas beschränkt, dass die Geheimdienste nicht - so wie die Polizei dies tun kann - exekutive Befugnisse, also vollziehende Gewalt haben. Geheimdienste können also nur informieren, aber nicht selbst Bürger beispielsweise verhaften oder einen Strafprozess gegen Bürger einleiten.

Die Geheimdienste gehören also bislang nicht zu den Strafverfolgungsbehörden. Mir als juristischem Laien ist der Grund dafür intuitiv klar: Wenn Geheimdienste neben ihrer umfassenden Befugnis geheim und unkontrolliert Informationen zu beschaffen und neben ihrem oft angewendeten Instrument der Desinformation auch noch selbsttätig Personen strafrechtlich belangen könnten, würde das Vertrauen in einen fairen Prozess allgemein schwinden. Denn gäbe es dann noch die ausreichende Möglichkeit für die Verteidigung, den Wahrheitsgehalt der vom Geheimdienst vorgebrachten Beschuldigungen zu prüfen? Könnte der Geheimdienst nicht leicht Beweise selbst platziert und gefälscht haben? Juristisch ausgedrückt würde also wohl die geheime und unkontrollierte Art der Informationsbeschaffung von Geheimdiensten den etablierten Prozessmaximen bei einem Strafprozesses in einem Rechtsstaat widersprechen (Wer dies konkreter oder korrekter juristisch beschreiben kann, ist eingeladen, dazu einen Kommentar abzugeben! Danke!).

Aber Schäuble sagt schlicht laut Zeit.de: Den Nachrichtendiensten "unlautere Absichten zu unterstellen", sei geradezu "unredlich". Woraus wohl folgen soll: Eine Kontrolle der Geheimdienste sei nicht nötig. Wird diese Behauptung mit der Forderung verknüpft, den Geheimdiensten auch Befugnisse im Strafprozess, also polizeiliche Befugnisse, zuzugestehen, würde das jedes Gerichtsverfahren, bei dem Geheimdienste beteiligt sind, unterminieren. Denn vor Gericht wird nicht "vertraut", sondern "bewiesen".

Schäuble fordert hier nichts anderes als die Aufhebung des Prinzips der Gewaltenteilung. Denn auch eine Schwächung der Gewaltenteilung (und der Entzug jeglicher Kontrolle über die Geheimdienste und vor allem ihr Ausstatten mit polizeilichen Befugnissen) würde das Machtgleichgewicht in einer Demokratie empfindlich stören, ja meiner Meinung nach sogar kollabieren lassen. Denn wenn Geheimdienste selbsttätig alles ausschnüffeln dürfen und daraufhin dann Leute vor Gericht zerren dürfen und man den Geheimdiensten schlicht dabei vertrauen sollte, wie soll es dann noch faire Gerichtsprozesse geben, bei denen der Geheimdienst als neue Polizeibehörde involviert ist? Wer sollte unterscheiden können, wo die Geheimdienste ihr Mittel der Desinformation einsetzen und wo sie polizeilich korrekt und neutral eine Straftat ermitteln?

Die Desinformation gehört als Mittel zum Geheimdienst wie die Tatortanalyse als Mittel zur Polizei. Vermischt man beides, kann daraus nur Chaos entstehen. Das Vertrauen in einen ordentlichen Strafprozess würde unterminiert werden. Die Exekutive gewänne zwar Macht bei einer Aufhebung der Trennung zwischen Geheimdiensten und Polizei, der Staat insgesamt würde jedoch geschwächt werden, weil die Bürger kein Vertrauen mehr in ihn haben würden.

Denn nicht die umfassende Überwachung ist die Basis einer stabilen Gesellschaft, sondern das Vertrauen der Bürger, dass der Staat sie gerecht und fair behandelt. Damit dieses Vertrauen existieren kann, müssen im Staatssystem jedoch Beschränkungen der Macht des Staates eingebaut sein, sprich: Kontrollen der Macht.

In einem demokratischen Rechtsstaat gilt also genau das umgekehrte Schäublesche Prinzip: Nicht der Staat benötigt zum Vertrauen in seine Bürger die Kontrolle über die Bürger, sondern der Bürger benötigt zum Vertrauen in den Staat Kontrolle über den Staat und seine Institutionen.

Schäuble stellt also unseren Rechtsstaat auf den Kopf. Geheimdienste stabilisieren nicht die Gesellschaft, sondern höchstens die Macht der Exekutive. Dies kann man in allen Diktaturen der Welt sehen. Schäuble verwechselt "Stabilität der Gesellschaft" mit "Stabilität von Regierungsmacht". Unter einer "stabilen Gesellschaft" verstehe ich jedoch eine Gesellschaft, die weitgehend frei ist von Nöten und Unterdrückung, die aus größtenteils zufriedenen Menschen besteht. Eine stabile (korrekter: handlungsfähige) Regierung ist hier nur ein Teil dessen, was zu einer stabilen Gesellschaft beiträgt.

Schäuble behauptet also eigentlich, dass die Exekutive in Deutschland viel zu schwach sei, dass Regierung, Behörden und Polizei schwach seien in Deutschland und kaum in der Lage seien, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten.

Ist dem so? Kann man die Situation in Deutschland tatsächlich vergleichen mit beispielsweise den schwächelnden staatlichen Ordnungssystemen in diversen Entwicklungsländern, die auf der oben genannten BND-Tagung eigentlich thematisch behandelt wurden?

Die Uhr tickt. Maximal noch zwei Jahre verbleiben, um die Öffentlichkeit umfassend darüber aufzuklären, dass Schäubles Ansichten schlicht und einfach verfassungsfeindlich sind. Bislang scheinen die Unionsparteien hinter Schäuble zu stehen. Käme die Union an die Macht und nimmt sie Schäubles Forderungen ernst und setzt sie um, müsste man wohl unserem liebgewonnen Rechtsstaat Lebewohl sagen. Ich würde in diesem Fall gleich auch Deutschland Lebewohl sagen. Denn die Aufhebung der Gewaltenteilung führt zwangsläufig in eine Diktatur. Und in einer Diktatur würde ich nicht leben wollen. Selbst wenn es dort keine Terroranschläge geben sollte (was ich zudem bezweifele, und zwar stark bezweifele).

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