Montag, 3. Dezember 2007

Die Eremiten-Höhle als letzter Hort des politischen Dissenses

Eremiten-Haus in der Bergwand des Gorge de Galamus in SüdfrankreichIn letzter Zeit liest man ja häufiger in manchen Medien abschätzige Bemerkungen über Blogger, gerade auch über politische Blogger. Der Vorwurf geht ungefähr so: Diese Blogger seien alle pseudo-politische und bequeme Sesselfurzer, weil sie sich nur im Netz politisch betätigen und ansonsten kaum auf Demos gehen und keiner politischen Gruppierung oder irgendwelchen Vereinen angehören.

Dazu kann ich nur sagen: Fallt darauf nicht herein, liebe Mitblogger und Blogleser! Das ist eine Falle. Wir sollen gelockt werden ins Verderben! Wir sollen herausgelockt werden aus unseren Blogger-Höhlen, damit man unser habhaft wird. Ganz klare Sache das.

Die politische Zukunft gehört in Deutschland nämlich den Eremiten. Sie werden die letzte Zuflucht, der letzte Hort politischen Dissenses sein, wenn alle Demoteilnehmer längst gefilmt und ihre Personaldaten in diversen Polizeidatenbanken zum Futter von heimlichen Ermittlungsverfahren wurden. Sie werden die Inseln des Widerspruchs sein, wenn alle Mitglieder von Bürgerinitiativen oder sonstigen kritischen Vereinen längst unter Anklage stehen wegen Bildung von kriminellen Vereinigungen und ihr Vermögen beschlagnahmt wird und die Angehörigen rund um die Uhr überwacht werden.

Ich kann nur dazu raten: Schreibt Weblogs aber haltet ansonsten eure Klappe! Keine Kontakte per E-mail, per Chat, per Brief, per Telefon und erst recht nicht in Form von realen Treffen in der physischen Welt zu anderen Leuten als euren engsten Freunden und Verwandten und Arbeitskollegen! Eure Weblog-Artikel reden ja in unpersönlicher Weise zur ganzen Welt und haben keinen bestimmten Adressaten. Macht anonymes Kommentieren in euren Weblogs möglich, dann bleibt euer Weblog eine unverbindliche Plattform, auf der sich nichts bilden kann. Keine irgendwie gearteten Mitgliedschaften jedenfalls.

Kommuniziert mit der Welt jenseits eurer drei, vier engsten Freunde und jenseits eures engsten Familienkreises und jenseits eurer Arbeitskollegen nur mit öffentlichen Blogpostings. Keine Heimlichkeiten, keine weiteren Kontakte mit irgendwem. Auch freundliches Zunicken Fremden auf der Straße gegenüber oder gegenüber der Kassiererin im Supermarkt sind zu unterlassen.

Alles andere könnte - wie bei jedem normalen Bürger, wie bei jedem Nicht-Eremiten - gegen euch verwendet werden. Jeder andere Kontakt könnte dem Staat verdächtig sein. Und ihr selbst könnt ja auch nicht wissen, ob die oberflächliche, lockere Bekanntschaft neulich in der Kneipe nicht irgendwo in irgendwelche kriminelle Aktivitäten verwickelt ist. Und schon wäret auch ihr dran und verdächtig der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Spinnt der jetzt total, der Solon?

Nicht ich spinne, sondern das deutsche Gesetz spinnt. Aber lest selbst (Hervorhebungen von mir):

Im Wesen organisierter Kriminalität liegt es, dass ihren Akteuren konkrete Tatbeiträge zu den tatsächlich verübten Verbrechen oft faktisch nicht nachgewiesen werden können. [...] in Deutschland löste man das Problem dadurch, dass man 1871 mit Schaffung des Strafgesetzbuches in § 129 die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellte.

Bald darauf wurde der Straftatbestand jedoch auch eingesetzt, um Sozialisten und Sozialdemokraten zu verfolgen. Im Nationalsozialismus erreichte der Missbrauch der Vorschrift zur Bekämpfung Oppositioneller ihren Höhepunkt. Praktisch jeder Andersdenkende, der sich mit anderen zusammen tat, wurde mit der Begründung, er plane die Bildung einer kriminellen Vereinigung, kriminalisiert.

Der Straftatbestand wurde im Laufe seiner Geschichte mehrfach erweitert. Ursprünglich stand nur die Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Strafe, später wurden noch die Unterstützung und 1964 die Werbung neuer Mitglieder oder Unterstützer für eine kriminelle Vereinigung unter Strafe gestellt.

Betroffenen von Ermittlungsverfahren und Verurteilungen waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik vor allem Gegner der Wiederaufrüstung und Kommunisten. In der Zeit von 1950 bis 1968 gab es über 100.000 Ermittlungsverfahren und etwa 10.000 Verurteilungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. [...]

In etwa fünf Prozent aller Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung wird Anklage erhoben, etwa ein Prozent führt zur Verurteilung. Aus diesem Grund wird der § 129 StGB auch als "Schnüffelparagraph" bezeichnet, da die allermeisten Verfahren ohne Rechtfertigung eine staatliche Überwachung im Milieu der fast beliebig auswählbaren Betroffenen legalisieren, ohne dass diese sich (schon Mangels Kenntnis des Verfahrens) dagegen wehren können. Ein geringfügiger Anfangsverdacht ist ausreichend, um weitreichende Ermittlungsbefugnisse zu erhalten. Häufig führen die Ermittlungen zu so genannten "Zufallsfunden". [...]

Nahezu jede Tätigkeit, die eine kriminelle Vereinigung in irgendeiner Weise unterstützt, ist unter Strafe gestellt. Dabei musste die Vereinigung weder existieren noch jemals aktiv geworden sein. Auch was als kriminell, beziehungsweise terroristisch im Sinne der §§ 129, 129 a StGB angesehen wird, ist nicht klar definiert und hängt, wie die Geschichte zeigt, häufig von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. [...]

Häufig wird der Verdacht einer Kriminellen Vereinigung dazu benutzt, umfangreiche Ermittlungen einzuleiten. Ergebnis dieser Ermittlungen sind häufig aber nur Anklagen wegen "normaler" Delikte durch die bei den Ermittlungen gewonnenen Zufallsfunde. [...]

Auch das politische Ungleichgewicht bei den Ermittlungen wird immer wieder kritisiert. Hierzu stellte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen 1996 eine Kleine Anfrage im Bundestag. Dabei ergab sich, dass zwischen 1990 und 1996 1116 Ermittlungsverfahren gegen linke Gruppierungen, aber nur 23 Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB gegen rechte Gruppen eingeleitet wurden. (Quelle: Wikipedia.org)


Ach ja, übrigens: Gegen Andrej H., den Berliner Doktor der Soziologie, wird weiter ermittelt. Nun nicht mehr wegen Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation, sondern wegen Mitgliedschaft in eben solch einer kriminellen Vereinigung. Er war halt unvorsichtig und hat sich mit Menschen getroffen, die er anscheinend nur flüchtig kannte.

Nur uns Blog-Eremiten kriegen sie nicht. Da haben sie nichts in der Hand. Selbst mit solch einem Terror-Paragrafen wie dem 129 StGB nicht. Denn wo es keinerlei persönliche Kontakte zu irgendwem gibt, kann es auch keine Mitgliedschaft in irgendeiner Vereinigung geben.

Copyright-Hinweis: Die Urheberrechte an obigem Foto besitzt Erwyn van der Meer, den ich nicht persönlich kenne. Ehrlich nicht. Das Foto unterliegt einer Creative-Commons-Lizenz.

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