Samstag, 25. November 2006

Online ohne Airbag

Es sind gerade die 50iger und 60iger Jahre des Internets.

Vergleicht man die Technik und die Nutzung des Internets mit der Entwicklung des Automobils, dann befinden wir uns gerade in den 50iger oder 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts: Damals füllten sich die Straßen und jeder schaffte sich ein Auto an. Heute ist seit Kurzem jeder im Internet. Damals entstand ein neues Lebensgefühl durch die mobile Freiheit und heute ein neues Lebensgefühl durch die Kommunikations- und Informationsfreiheit.

Worin sich die Autos der 50iger und 60iger Jahre und die heutige Nutzung des Internets auch ähnlich sind: Die fehlende Sicherheit.

Es gab keine Airbags und das Anlegen des Sicherheitsgurtes war noch nicht Pflicht. Einher ging dies mit einer weitgehenden Ignoranz in der Bevölkerung für die Gefahren des Autoverkehrs. Die Zahl der Verkehrstoten ist heute immer noch viel zu hoch, aber damals war sie - vor allem relativiert an der noch nicht ganz so hohen Verkehrsdichte - um ein Vielfaches höher.

Und heute sind die Leute im Internet ohne Airbag und Sicherheitsgurt unterwegs. Nein, ich meine jetzt nicht (nur) die fehlende Sicherheit bei manchen Betriebssystemen oder Browsern, sondern eher diese Leichtsinnigkeit, überall seine Daten preiszugeben.

Bei Kontaktanzeigen in Zeitungen gab (gibt es doch auch immer noch, oder?) es diese Chiffre-Anzeigen. Heute jedoch veröffentlicht jeder bedenkenlos bei Kontaktbörsen wie StudiVZ seine Adressdaten. Und einmal veröffentlicht, können sie im Internet auf ewig verbleiben. Selbst wenn der Nutzer sie wieder löscht, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Daten inzwischen auch woanders hin kopiert wurden, von Cache-Diensten gespeichert wurden und auf Anfragen in Suchmaschinen wieder auftauchen.

Das wäre alles vielleicht noch nicht das große Problem, wenn es nicht Menschen gibt, die nerven, die nicht ganz richtig ticken oder die gar gezielt Böses vorhaben. Bei Millionen von Menschen im Internet ist es folglich nicht unwahrscheinlich, Opfer solcher Personen zu werden:

Bei mir haben seltene, aber regelmäßig wiederkehrende Kontaktversuche eines einzelnen Mannes, mit dem ich nichts zu tun haben wollte, schon dazu geführt, dass ich über einen Umzug nachgedacht habe. Wegen eines generell merkwürdigen Gefühls, weil ich mitbekommen hatte, dass er zu Brutalität neigt, und weil er leider meine Adresse hatte. Davor hatte ich auch mal geglaubt, dass Belästigungen eine Art Luxusproblem besonders attraktiver Frauen seien und gar nicht weiter schlimm. (Quelle)


Das sind die Worte von "Amelia" in einem Kommentar bei Blogbar.de. Dort geht es um die Folgen des ungeschützten Datenverkehrs in Form eines wilden Adresstausches unter Studenten oder ehemaligen Studenten bei diesem nun bereits ca. eine Millionen Mitglieder umfassenden StudiVZ.

Die eigenen Adressdaten in der Hand von Millionen von Menschen (sprich: im Internet) in Verbindung mit Fotos oder Äußerungen (also im Gegensatz zu einem stinknormalen Adress- oder Telefonbuch) von einem selbst können zur Gefahr werden. Es muss dann nicht an einem selbst liegen, an dem wie man auftritt und was man sagt, ob einem was passiert. Verrückte können in jedem Wort, was man sagt, irgendwas erkennen, was sie derart nervt oder anturnt, dass sie am nächsten Tag vor der Wohnungstür stehen.

Die Bundesregierung stört dies nicht. Im Gegenteil. In Zukunft sollen bekanntlich auch Weblogs im Zweifelsfall einer Impressumspflicht unterliegen dank neuem Telemediengesetz (Telepolis.de: Journalistisch anmutende Nachrichtenblogs).

Ich werde auch weiterhin mit dem Airbag der Anonymität oder zumindest Pseudonymität unterwegs sein. Einen Zusammenstoß mit deutschen Rechtsbehörden deswegen fürchte ich weniger als einen Datenunfall, bei dem ich als Privatperson ohne kommerzielle Interessen wegen ein wenig Geschriebenem im Internet die Zugangsdaten zu meiner physikalisch-biologischen Existenz Millionen von Menschen ausliefere.

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