Donnerstag, 29. März 2007

Gewalt, Desinformation, Überwachung

Es folgt eine kleine, spekulative Gedankenspielerei ohne jeglichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, zusammengesetzt aus den Bausteinen meines unvollkommenen Wissens.

Will eine Regierung gegen die Interessen des Volkes regieren, so gibt es meiner Meinung nach drei Mittel, die sie anwenden kann:

1.) Abschreckung durch Gewalt. Das bekannteste Mittel. Oftmals in der Geschichte erprobt. Die pure Gewalt, der Einsatz des Militärs oder einer militärischen Polizei, die sich zur Regierung loyal verhält (um die "Sicherheit" und "Stabilität" im Lande zu sichern), führt dazu, dass es zwar im Untergrund rumort, aber jeden, dem ein friedliches Leben lieber war als politische Mitbestimmung ruhig stellte.

Dieses Mittel funktionierte in den letzten Jahrzehnten jedoch immer weniger. Zahlenmäßig geringe Gruppen können heute mittels einfach zu bedienender Maschinengewehre und anderer schwerer Waffen, durch leicht zugängliches Wissen über Bombenbau und Guerilla-Taktiken, durch internationale Finanzierung von Aufständen, durch einen internationalen Waffenmarkt und durch die Verletzlichkeit heutiger technischer Infrastrukturen die Herrschaft einer Regierung zumindest in Teilregionen dauerhaft untergraben. Die vielen Bürgerkriege weltweit bis in jüngste Zeit zeigen dies.

2.) Desinformation. Dieses Mittel funktionierte in der Vergangenheit meist nicht ohne die Hilfe des ersten Mittels, also der Abschreckung durch Gewalt. Erst die moderne Mediendemokratie mit dem gleichzeitigen Versagen dieser Medien macht das langjährige Regieren gegen das Volk alleine durch Desinformation möglich. Das Internet und seine Informationsressourcen gefährden jedoch zunehmend diese Politik, so wie sie in Teilen zum Beispiel in Deutschland anzutreffen ist. Ließe man alles so wie es ist, würde es sich trotz des Versagens der klassischen Medien irgendwann bis zum letzten Wähler herumgesprochen haben, dass beispielsweise die neoliberale Politik der letzten Jahre nicht Löser von Problemen war, sondern sie erst erschaffen und bestehende Probleme verschärft hat. Bei Wahlen würden somit auf lange Sicht Politiker den Kürzeren ziehen, die im Internetzeitalter gegen das Volk regieren wollen. Solch ein aufklärerischer Prozess dauert zwar und bis er greift können gegen das Volk regierende Politiker massiven Schaden angerichtet haben, aber er wäre meiner Meinung nach unausweichlich.

3.) Überwachung. In früheren Zeiten ließen Despoten nur ihre direkten politischen Gegner überwachen, wenn sie sie nicht gleich beseitigen ließen. Neben der Abschreckung durch Gewalt war die Desinformation das Machtinstrument gegenüber dem Volk. Gegenüber den gebildeten Rädelsführern einer Opposition half jedoch nur Überwachung. Die Überwachung existierte also schon immer, aber beschränkte sich auf eine kleine Zahl bekannter und politisch hoch auffälliger Menschen.

Nachdem nun das erste Mittel, die Gewalt, in modernen Zeiten nicht mehr zuverlässig funktioniert und auch das zweite Mittel gerade dank des Internets an Durchschlagkraft verliert, könnte das Herrschaftsinstrument der Überwachung zu ungeahnter Größe anwachsen. Dank der neuen technischen Möglichkeiten. Was der Tod der Desinformation ist, ist gleichzeitig der Dünger für die Überwachung: Vernetzte Information.

So ist es technisch möglich, jeden Klick im Internet zu speichern und automatisch auszuwerten. So ist es technisch möglich, die Bewegung von Dingen und Personen unauffällig ohne großen Aufwand genau zu protokollieren und auszuwerten. Entweder mittels RFID-Chips oder mittels aufbereiteter und zentral vernetzter Videokameras, die heute in Prototypen bereits Gesichter und damit Personen erkennen, die Emotionen der erfassten Gesichter verstehen, gefilmte Gegenstände identifizieren und verfolgen können oder auch von den Lippen lesen können. Hinzu kommt die Möglichkeit der genauen Erfassung von Finanzbewegungen.

Das erste Mittel der Herrschaftsausübung, die Gewalt also, wird in einem demokratischen Rechtsstaat durch Gesetze genau kontrolliert. Das zweite Mittel der Herrschaftsausübung, die Desinformation, wird in einer Demokratie durch die Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, das Versammlungsrecht, unabhängige Gerichte, eine freie Wissenschaft und so weiter in Schranken gehalten. Der zunehmende Einfluss starker Wirtschaftsverbände auf die Medien und Politik hat hier in letzter Zeit zu einer Schieflage geführt, die jedoch eventuell zum Beispiel durch das Internet ausgeglichen werden könnte.

Die entscheidende Rolle im Machtspiel hängt somit von der Überwachung ab. Da es technisch möglich wird, wirklich jede kleinste Regung von wirklich jedem Bürger zu erfassen und dies ohne großen Aufwand und automatisiert auswerten zu lassen, wäre dadurch auch der Einsatz des Machtmittels Nummer eins, also der Gewalt, wieder effektiv möglich. Und natürlich der Einsatz der Desinformation, denn abweichend handelnde und sich abweichend informierende Menschen können dank der neuen Möglichkeiten der Überwachung schnell und zuverlässig identifiziert und ausgeschaltet werden. Ein Überwachungsstaat zeichnet sich also dadurch aus, dass er im Gegensatz zu früheren Gewaltherrschaften wirklich überall als friedlich erscheint. Störende Elemente können dank der hundertprozentigen Überwachung schnell und für die Gesellschaft nahezu unsichtbar ausgeschaltet werden. Ein moderner Überwachungsstaat wäre also völlig "befriedet".

Vielleicht kann man die drei Herrschaftsinstrumente einer gegen die Bevölkerungsmehrheit gerichteten Politik hinsichtlich ihrer in einem "erfolgreichen" despotischen Staatswesen sichtbaren Ausprägungsstärke, ihres Verhältnisses zueinander und ihrer Entwicklung über die Zeit wie folgt veranschaulichen:

Diagramm ohne feste Werte, abfallende Kurfe für 'Gewalt', gleichbleibende Gerade für 'Desinformation', ansteigende Kurve für 'Überwachung'

Das ist natürlich total vereinfacht. Aber ich denke, dass an der Ersetzung von sichtbarer Gewalt durch unsichtbare Überwachung etwas dran ist. Wo vorher (im Diagramm links) massiver Einsatz von Gewalt nötig war, um Ruhe herzustellen, sind in einem Überwachungsstaat (rechts im Diagramm) nur noch kleine, kaum noch auffallende gewalttätige Übergriffe auf die Bevölkerung in einem despotisch regierten Staat nötig.

Überprüfen könnte man die These anhand geschichtlicher Beispiele von "erfolgreichen" Despotien. Mit "erfolgreich" meine ich: Staatswesen, wo tatsächlich gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit regiert wurde und wo trotz dieses Regierungsstils weitgehend Ruhe im Staat herrschte. Wie sah es im Römischen Reich in den besetzten Gebieten aus mit dem Verhältnis von Gewalt und Überwachung? Wie in der DDR?

Wenn klar geworden ist, dass "Überwachung" ein Herrschaftsinstrument ist, sollte man dann nicht vorsichtig sein beim ständigen Fordern nach mehr Überwachung? Wie würden sich die Forderungen unserer Innenminister und Sicherheitsbehörden-Chefs anhören, wenn sie ständig zum Beispiel statt nach mehr Überwachungsbefugnissen nach mehr und stärkeren Waffen für die Polizei oder nach mehr Einheiten von besonders militärisch geschulten Polizisten rufen würden oder nach mehr Befugnissen für den Gewalteinsatz durch die Polizei? Würde man dann nicht auch eine genaue Abwägung vornehmen, ob so etwas wirklich nötig ist?

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