Samstag, 17. März 2007

Schieflage ist immer und überall

Ein Grund, warum ich dieses Blog "Schieflage" genannt habe, ist auch, dass jeder von uns, so sehr sie oder er sich auch anstrengt, die Dinge "schief" wahrnimmt. Die Welt ist so komplex, man hat nie das ganze Bild. Eine Binse, ich weiß. Nicht nur vorschnelle Deutungen sind also gefährlich, sondern Deutungen überhaupt.

Sollte man also aufhören, die Welt und die, die sie bewegen, zu analysieren? Natürlich nicht. Aber die innere Unruhe sollte bleiben bei allen Erklärungsversuchen. Sobald man sich zufrieden zurücklehnt und denkt: "Siehste! So läuft die Welt! Ich wusste es doch schon immer!" hat man verloren.

Manchmal muss man Sachen zuspitzen. Keine Frage. Um etwas deutlich zu machen oder auch nur um ein wenig Würze in die Sache zu bringen und Interesse zu wecken, muss man häufig übertreiben und vereinfachen. Um die asymetrische Verteilung der Medienwirkung (hier kleines Weblog, dort die großen Player im Aufmerksamkeitsgeschäft) etwas zu reduzieren. So lange man sich dessen bewusst ist, muss das noch keine Ignoranz sein. Aber wenn das Denken eingetretene Pfade geht und man seine Erzfeinde ganz genau zu kennen meint, kann man sicher sein, dass man drinsteckt in der Falle der Ignoranz, ohne es selbst zu merken. Denn wer klare und vor allem nur einige wenige Feindbilder hat, ist blind, weil es jenseits abstrakter Konzepte wie "Unfreiheit", "Ungerechtigkeit" und dergleichen, die keiner will, eigentlich keine klaren Feinde gibt. Denn das Verrückte ist, dass der Feind von sich meint, ebenfalls das Richtige zu tun.

Weiter als das triumphierende Zeigen mit dem Zeigefinger auf den wieder einmal beim Bösestun ertappten politischen Feind bringt die Frage, warum verhält sich mein politischer Gegner so wie er es tut? Welche Gründe meint er selbst als "gut" anzusehen für sein Handeln? Und dann sollte man diese Gründe auseinandernehmen statt einfach zu sagen: "Der da ist böse".

Ich muss zum Beispiel zugeben, dass das Handeln von beispielsweise Schäuble und Co. hinsichtlich ihrer Forderungen nach noch mehr Überwachung der Bevölkerung für mich so ein rätselhafter Fall ist, aus dem ich nicht schlau werde. Ihre Gründe, warum sie ihr Handeln als "gut" ansehen, ist mir genau genommen weiterhin schleierhaft. Ich habe zwar in einigen Weblog-Einträgen mit diversen Vermutungen gespielt, aber es bleibt ein großes Rätsel. Sie müssten doch inzwischen mitbekommen haben, dass die immer weiter gehenden Überwachungsforderungen nicht wirklich für mehr Sicherheit sorgen und vor allem das, was sie zu schützen vorgeben, letztendlich zerstören.

Wenn ich also von Schäuble als einer Gefahr für die Demokratie spreche, so weiß ich, dass das eine Zuspitzung ist und ich dabei "nur" ein spezifisches Handeln seiner Person bei einem spezifischen politischen Thema meine.

Etwas anderes wäre es, wenn ich mich immer weiter eingraben würde in eine Theorie mit dem Inhalt, dass es finstere Mächte gibt, die die Demokratie abschaffen wollen und ich ab jetzt überall auf der Suche wäre nach diesen finsteren Mächten. Verschwörungstheorie... genau... so nennt man das.

Was nicht heißt, dass es eine Politik und Kräfte gibt, die in ihrem Effekt genau auf eine Einschränkung demokratischer Freiheiten in Deutschland hinauslaufen. Nur die Gründe für diesen Effekt, die sind vermutlich sehr verschiedenartig. Kulminieren jedoch in dem Effekt, in einem Effekt. Viele Ursachen, ein Effekt also. Ohne dass es dazu im Hintergrund zentral lenkender, böser, und vor allem dunkler, geheimer Mächte bedarf.

Stattdessen gibt es zum Beispiel die oft falsch oder gar nicht berichtenden Medien. Zum Beispiel gibt es (wohl eher selten) Politiker, die tatsächlich schlicht korrupt sind und gar nicht mehr nach Moral fragen. Zum Beispiel gibt es wiederum Politiker, die schon noch meinen, sie ständen für das Richtige ein, aber dennoch den Weg des geringsten Widerstandes gehen und sich das Leben einfach machen, indem sie sich zum Beispiel auf einfache (populistische) politische "Lösungen" einlassen, die sich im Zeitalter der Nicht-Berichterstattung unserer Medien dann auch leichter verkaufen lassen. Zum Beispiel gibt es die hochprofessionelle, hochintelligente, hocheffektive Arbeit der Lobbyisten aus dem Big Business, die in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen (Politik, Medien, Universitäten, Schulen, Behörden und Verwaltungen) ihre spezifischen Interessen unterbringen, da aus diversen Gründen die Transparenz und die Kontrolle des politischen Handelns der Verantwortlichen sowie das Führen offener und öffentlicher politischer Debatten in Deutschland zur Zeit mangelhaft ist. Und schließlich gibt es das Übliche, was überall und so häufig tatsächliche Lösungen verhindert: Missverständnisse, Unwissen, mangelnde Zeit, Pannen, Vorurteile.

Viele Ursachen. Komplexe Welt. Somit verhindern einfache, zu einfache Erklärungsmuster letztendlich nur das, was man erreichen möchte.

Natürlich sind Verschwörungstheorien unheimlich faszinierend und verlockend. Sie fesseln wie ein guter, spannender Kinofilm. Leider haben sie meist genauso wenig mit der Realität zu tun wie solch ein Kinofilm. Und am Ende kommt man raus aus dem Kino und die Welt sieht wie zuvor aus.

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