Mittwoch, 9. Mai 2007

Deutsche Polizei agiert unangemessen

Zwei Dinge beweisen heute erneut, dass die Polizei in Deutschland längst überfordert ist, mit der Realität umzugehen.

Einerseits die 900 Mann starken bundesweiten Hausdurchsuchungen von 40 Objekten, um auf die Spur einiger Molotowcocktail-Werfer zu kommen, die nach dem Werfen von brennenden Flaschen wirre politische Pamphlete hinterlassen haben, in denen sie die Einführung des Kommunismus in Deutschland fordern (ich zittere, die Politiker zittern, die Polizei zittert, die deutsche Wirtschaft zittert - wegen dieser enormen Bedrohung...) und nun als "terroristische Vereinigung" verfolgt werden. Kollateralschaden: Server und Materialien von vermutlich völlig unbeteiligten zivilgesellschaftlichen Projekten wurden beschlagnahmt und Privatwohnungen, Buchhandlungen, Archive, Werkstätten auch von vermutlich größtenteils Unschuldigen durchsucht.

Mehr Infos dazu zum Beispiel hier:

Die Reaktion der Polizei erscheint mir völlig überzogen. Überzogene Reaktionen sind unangemessen und somit nicht an die Realität angepasst.

Andererseits ein Interview von Spreeblick.com mit einem deutschen Hosting-Provider, der einmal aus dem Alltag erzählt, wie die Polizei ständig nach irgendwelchen Logfiles fragt, um Betrugsdelikten, Beleidigungen oder auch schlimmeren Delikten der Kunden des Hosting-Providers auf die Spur zu kommen, dabei aber offensichtlich technisch und hinsichtlich ihres Know-Hows völlig überfordert ist:

Es mangelt vor allem an zwei Dingen: Erstens Know How. Was bedeutet der ganze Kram in den Logfiles überhaupt? Wie ist zum Beispiel eine Maillog auszuwerten, was bedeutet der Kram in einem E-Mail-Header? Das ist ja nicht trivial. [...]

Wir hatten auch schon Fälle, wo Leute bei uns im Büro standen und mal eine Festplatte eines Kundenrechners beschlagnahmen wollten, nur um dann festzustellen, dass es bei einem Shared Webhosting "die Festplatte des Kunden" nicht gibt, sondern die Daten überall verstreut rumliegen, die Datenspeicherinstallation außerdem irgendwo ganz anders in Deutschland steht UND man einen Lastwagen brauchen würde, um das Ganze zu transportieren.

Also Know How wäre eine Sache.

Außerdem mangelt es an Tools. Es gibt bei keiner mir bekannten Polizeistelle Rechner, die in der Lage wären, ein 4 GB Logfile einzulesen und nach Einträgen zu durchsuchen, oder Software, die Apache-Logfiles auswerten kann oder Sniffer, die IP-Mitschnitte interpretieren und aufbereiten könnten. Besonders die laut Datenvorratshaltung aufzuhebenden IP-Verbindungsdaten sind ja riesige Mengen. Wir reden hier von TERAbyte Daten pro Halbjahr. Wer soll denn 2 Tera IP-Logs eines fraglichen Zeitabschnitts nach einer bestimmten Kommunikation durchsuchen? (Quelle)


Hier agiert die deutsche Polizei unangemessen, weil sie schlicht überfordert ist und somit eigentlich eher nicht agiert, sondern gelähmt ist durch die von den Innenministern immer umfangreicher zugänglich gemachten Datenberge.

Einerseits gibt es also eine Überreaktion der Polizei (Hausdurchsuchungen heute), andererseits eine Überforderung der Polizei (Auswertung von Internetdaten). Beides sind bezüglich der Realität unangemessene Verhaltensweisen, die ein schlechtes Funktionieren der Polizei offenbaren.

Mein Verdacht ist, dass es verantwortlichen Politikern weniger um effektive Verbrechensbekämpfung geht, sondern um ein Sicherheitsschauspiel mit den Polizisten als Statisten. Hätten unsere Innenminister wirklich die Sicherheit der Bevölkerung im Sinn, hätten sie heute kaum 900 Mann für einen völlig überzogenen Einsatz bereitstellen lassen und würden zudem den Umgang der Polizei mit Internetdaten professionalisieren oder den Zugriff auf derartige Daten wieder auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Da die Überforderung der Polizei beim Umgang mit den Internetdaten jedoch nicht sichtbar ist, keine tollen Fotos oder Berichte in der Presse hergibt, also als Element im Sicherheitsschauspiel nicht taugt, kümmern sich unsere Innenminister nicht darum. Statt der mühsamen Detail-Arbeit widmen sich unsere Innenminister lieber dem großen Tamm-Tamm und rufen nach noch größeren Datenbergen und noch rigideren Polizeiauftritten auf der Straße. Es ist schlicht Volksverdummung, was da von unseren Innenministern betrieben wird.

Nachwort: Warum schaffen es unsere öffentlich-rechtlichen Sender übrigens nicht, derartige Interviews wie oben zitiertes von Spreeblick.com zu führen? Ah, ich verstehe schon... das fehlende Geld... Gut, dass Spreeblick so reich ist (bekanntlich milliardenschwer) und es sich somit leisten kann, derart informative Interviews zu führen.

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