Samstag, 12. Mai 2007

Unternehmungsgewahrsam

Liebe Hartz-IV-Empfänger,

keine Lust mehr auf den "offenen Vollzug" zu Hause in den eigenen vier Wänden, wo man wegen der hohen Fahrpreise des öffentlichen Nahverkehrs und der jederzeit möglichen Kontrollbesuche durch Mitarbeiter der Behörden eh kaum vor die Tür treten kann? Mal Lust auf etwas größere Luftveränderung und auf ein Abenteuer? Bei kostenloser Verpflegung? Und für eine gute Sache, nämlich den politischen Protest? Ohne dass die Arbeitsagentur es verhindern kann?

Dann buchen Sie jetzt einen "Unterbindungsgewahrsam" in Mecklenburg-Vorpommern! Bis zu zehn Tage Aufenthalt in dem herrlichen Bundesland im Nordosten unserer Republik sind möglich! Ich finde, solch ein Angebot der kostenlosen Vollverpflegung unter fremder Sonne sollten sich abenteuerlustige Hartz-IV-Empfänger aus anderen Teilen Deutschlands nicht entgehen lassen! Kostenloser Transport zum Unterbringungsort inbegriffen! Nur die Hinreise in die Nähe von Heiligendamm muss man selbst übernehmen. Und vielleicht für viele das Ungewohnteste: Die Teilnahmebedingungen sind extrem unkompliziert: Man braucht keine SMS irgendwohin zu schicken! Kein Preisausschreiben! Keine versteckte Verkaufsveranstaltung! Einfach ein selbstgemaltes Plakat ohne künstlerischen Anspruch in der Öffentlichkeit in die Höhe halten, auf dem man ankündigt beim G-8-Gipfel in der Nähe von Heiligendamm einen Stein in Richtung Schutz-Zaun werfen zu wollen (Sie müssen es nicht einmal tun! Ankündigen reicht!). Oder einfach einen Bolzenschneider ausleihen und mit sich führen. Sie brauchen nicht einmal zu wissen, wie man einen Bolzenschneider bedient. Sie brauchen ihn nämlich gar nicht zu bedienen. Sie brauchen also auch keine besonderen Kräfte im Oberarm. Einfach den Bolzenschneider bequem am Tragegurt oder in einer extra Tasche am Körper transportieren reicht und schon sind Sie mit dabei! Auch also etwas für unternehmungslustige, ältere Damen!

Mehr Informationen zu diesem außerordentlichen Erlebnisurlaub bietet zum Beispiel Tagesschau.de: Sitzen statt demonstrieren - Wem droht der 'Unterbindungsgewahrsam'?

Darin:

Die Voraussetzungen für den Unterbindungsgewahrsam sind ebenfalls in den Länderpolizeigesetzen geregelt. Nach dem Schweriner Gesetz ist er unter anderem gerechtfertigt, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat zu verhindern. Doch woher weiß die Polizei das?

Laut dem Gesetz liegt der Verdacht nahe, wenn die Tat etwa über Transparente angekündigt wird oder Waffen und Werkzeuge mitgeführt werden, die für eine Straftat taugen. Wer zum Beispiel mit dem Bolzenschneider in Richtung Heiligendammer Zaun unterwegs ist, dürfte darunter fallen. (Quelle)


Dass es sich beim staatlichen Angebot des "Unterbindungsgewahrsams" nicht um eine leere Versprechung und somit um Bauernfängerei handelt, dafür bürgen unser Bundesinnenminister Schäuble und auch der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern persönlich. So berichtet Netzeitung.de:

Das Land Mecklenburg-Vorpommern bereitet Massen-Gefängnisse für Globalisierungsgegner zum G8-Gipfel vor. Außerdem will das Land die gesetzlichen Möglichkeiten zur vorbeugenden Haft für mutmaßliche Gewalttäter "vollinhaltlich ausschöpfen", wie Innenministeriumssprecherin Marion Schlender der Nachrichtenagentur AP sagte. (Quelle)


Erleben und genießen Sie unseren Staat in Aktion und berichten Sie anschließend den neidischen Nachbarn von ihrem Erlebnisurlaub!

Knast ohne Vorstrafe! Und ohne irgendetwas Kriminelles getan zu haben! Ein einzigartiges Angebot, wie ich finde.

Nachwort: Da ich mir sicher bin, dass bei dem verkniffenden Gesicht, das er immer macht, unser Wolfgang-ich-bin-anständig Schäuble absolut nullkommanull Humor versteht, sei hier noch der kleine Hinweis gestattet, dass meine obigen Worte Satire sind, klar? Die Existenz dieses polizeilichen Zwangsmittels eines tagelangen Unterbindungsgewahrsams ist jedoch keine Satire, sondern Realität. Womit alleine schon deshalb Deutschland als Rechtsstaat diskreditiert ist. 14 Tage eingesperrt nur bei einem Hauch eines Verdachtes auf Gewalttaten, die noch nicht einmal ausgeführt wurden? Wenn der G-8-Gipfel zu einem gut war, dann dazu, dieses skandalöse Machtmittel der Exekutive in vielen Bundesländern stärker in die Öffentlichkeit zu zerren. Denn zu anderen Gelegenheiten (beispielsweise bei der Verabschiedung derartiger Gesetze, oder gar bei ihrer Planung) berichten unsere deutschen Medien über so etwas ja bekanntlich nicht.

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