Donnerstag, 10. Mai 2007

Razzia gegen G8-Gegner: Das plötzliche Auftauchen eines Terror-Masterplans

Sieh an. Es gibt doch noch einige wenige Stimmen in den reichweitenstarken Medien, die die gestrige, 900 Mann starke, bundesweite Polizei-Razzia gegen linke Projekte kritisch sehen. Sehr lesenswert zum Beispiel der Kommentar von Sonja Kerscher bei Süddeutsche.de: Praktischer Terrorverdacht.

Darin (Hervorhebungen von mir):

Gewiss darf der Staat nicht tatenlos zuschauen, wenn sich militanter Protest in Form von Brandanschlägen und Sachbeschädigungen äußert. Das haben die Sicherheitsbehörden auch nicht getan, als in den vergangenen Jahren beispielsweise in Hamburg und Berlin mehr oder weniger gefährliche Anschläge verübt wurden. Sie haben ermittelt.

Plötzlich, von einem Tag zum andern, werden diese längst bekannten Taten als Teil eines geradezu teuflischen Masterplans zur Zerstörung von Staat und Gesellschaft verkauft.

Die Urheber der Anschläge werden über Nacht als Gründer und Mitglieder einer terroristischen Vereinigung hingestellt [...].

Der flugs erhobene Terrorismusverdacht nährt einen anderen Verdacht: Polizei und Justiz benützen ihn als praktisches Einfallstor für umfassende Ermittlungen.

Die bisher angegebenen Belege sind viel zu dünn [...]. (Quelle)


Die Schieflage, in die der Rechtsstaat längst geraten ist, wird anhand des gestrigen Vorgehens der Polizei deutlich. Genau dieses unverhältnismäßige Handeln ist das Handeln eines "Präventionsstaates" und nicht das eines Rechtsstaates. Der Schaden, der hier durch die Regierung und die Sicherheitsbehörden angerichtet wurde, betrifft nicht nur den Stress, das Eindringen in die Privatsphäre, oder die Beschlagnahmung von Computern bei den direkt Betroffenen, sondern es ist eine Beschädigung des Rechtsstaates.

Der Rechtsstaat wird für die Betroffenen hier zu einem Unsicherheitsstaat: Wo werden die Daten von ihnen nun alles gespeichert? Gar in der Anti-Terrordatei? Gelten sie jetzt als Kontaktpersonen von Terroristen - ohne selbst zu wissen, wer denn diese ominösen Terroristen sein könnten?. (Mehr übrigens über die Schludrigkeit der deutschen Polizei mit ihr anvertrauten Daten und ihre Datensammelwut in einem früheren Weblog-Eintrag)

Der Rechtsstaat wird aber auch für die nicht direkt Betroffenen durch die Umwandlung in einen Präventionsstaat zu einem Unsicherheitsstaat: Dadurch, dass die Sicherheitsbehörden immer intransparenter handeln - mit der Begründung, dass sie mehr nicht verraten könnten, wegen weiterer, geplanter Präventionsmaßnahmen. So muss die Polizei anschließend nicht genau erklären, warum sie so handelte, wie sie handelte, sondern verweist einfach auf irgendwelche möglichen Terrorpläne, auf irgendeine "abstrakte" Gefährdungslage, die es ihr verbieten würden, offener darzustellen, warum sie so handeln musste, wie sie handelte, weil das sonst die Terroristen warnen würde. Der seit neuestem viel breiter und größer angelegte Polizei-Auftrag der Prävention schafft somit immer mehr Intransparenz bei der Polizeiarbeit gegenüber dem Volk. Das plötzliche "Hervorzaubern" einer angeblichen, neuen, hochgefährlichen, linksextremen Terrorzelle, gegen die die vielen Razzien gestern gerichtet gewesen seien, beweist dieses intransparente Vorgehen der Polizei gegenüber den Bürgern.

So entsteht ein Teufelskreis aus immer unkontrollierbarerem Handeln der Sicherheitsbehörden: Die Polizei hat einen vagen Verdacht, will diesen unter dem Druck des Präventions-Auftrages untersuchen, sammelt deshalb - anders als früher jetzt auch durch massivere Eingriffe in die Rechte einzelner Bürger - weitere Daten, um den Verdacht zu erhärten und kann ihr Handeln nicht transparent darstellen und rechtfertigen, weil sich aus den Daten weitere vage Verdachtsmomente ergeben haben, denen nun auch präventiv nachgegangen werden muss oder weil sich der Anfangsverdacht nicht erhärtet hat, aber vielleicht durch andere, weitere Maßnahmen doch noch erhärtet werden könnte.

Gestern könnte der sichtbare Einstieg beim polizeilichen Handeln in diesen präventiven Teufelskreis aus zugleich einerseits überbordenden und andererseits instransparenten Polizeimaßnahmen beschritten worden sein.

Viel hängt jetzt davon ab, ob die Polizei sich in den nächsten Tagen intensiv zu dem gestrigen Vorgehen äußern wird und ob sie glaubhaft darlegen kann, dass diese Aktionen in diesem Umfang tatsächlich nötig waren. Tut sie dies nicht, müssten Politiker eigentlich Konsequenzen ziehen. Kein Demokrat kann daran interessiert sein, den Sicherheitsbehörden zu erlauben, dass diese irgenwelche Bürger vorschnell, auf Grund unsauberer Polizeiarbeit oder schlicht aus einer Übertreibung heraus als Terroristen verdächtigen.

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