Samstag, 25. November 2006

Erzeugt Demokratie Feigheit?

Wolfgang Sofsky in KulturzeitDie Sendung "Kulturzeit" von 3Sat interviewte den Soziologen und Autor Wolfgang Sofsky: Aus Angst wie gelähmt - Der Soziologe Wolfgang Sofsky kritisiert die Feigheit der Deutschen (3Sat.de: Kulturzeit)

Sofsky beschreibt Feigheit als gesellschaftliches Phänomen, als Hemmschuh unserer Entwicklung. Für ihn ist Feigheit "ein Zustand tiefster Unfreiheit. Sie liefert den Menschen der Angst aus. Wer die Courage diffamiert, rechtfertigt das Zwangsgehäuse der Angst". (Kulturzeit über Sofsky)
Sofsky meint außerdem, dass über Deutschland die Feigheit wie ein Mehltau liege und alle gesellschaftlichen Bereiche negativ beeinflusse: Außenpolitik, Militärpolitik, Sozialpolitik, es beträfe die Wissenschaften und auch die Verwaltung.

Man spürt: Der Mann hat doch irgendwie Recht, oder?

Vielleicht!

Seinen Satz, dass Feigheit Zeichen der Unfreiheit ist, sollte man sich an die Wand nageln, so kurz und treffend ist er. Feigheit ist somit nicht etwas, was man moralisch entrüstet mit Aufforderungen wie "Sei doch nicht so feige, du Schwein!" bekämpfen kann. Das wäre so, als ob man einem Gefangenen zurufen würde: "Du Stubenhocker! Geh doch endlich mal an die frische Luft!".

Die weitergehende Aussage und Analyse jedoch, dass es in Deutschland hakt, dass an vielen Stellen alles schwerfällig läuft, dass der Schutz von Werten durch die Politik nur allzuoft nicht im ausreichenden Maße umgesetzt wird, ist so richtig wie bekannt. Aber liegt es wirklich an einer allgemeinen Feigheit, dass dem so ist? Wenn ja: Woher stammt dann diese Feigheit, woher stammt also die erlebte Unfreiheit der Menschen? Das wäre für mich die spannende Frage, denn daraus eröffnen sich womöglich Lösungen.

Sofsky scheint die Feigheit als gottgegeben hinzunehmen. Zumindest aber als unabänderlich. So konstatiert er, dass die Demokratie die Feigheit unmöglich eindämmen könne, denn in der Demokratie müssten die Politiker tun, was das Volk will und das Volk sei nunmal feige. Punkt.

Zumindest braucht man also von Sofsky keine Ruckrede à la Küchenpsychologe Roman Herzog zu erwarten. Das ist schon mal was. Aber worauf will Sofsky hinaus? Argumentiert er etwa gegen die Demokratie? Ich hoffe und denke nicht. Er lässt die Frage, woher die Feigheit genau kommt und wie man sie bekämpfen könnte, wohl offen. Zumindest dem Bericht von Kulturzeit nach.

Mich interessiert aber, wie man gegen diese Feigheit angehen kann. Hier eine Idee dazu:

Feigheit ist das Gegenteil von Verantwortungsgefühl. Verantwortungsgefühl kann aber nur entstehen, wenn man Verantwortung zugestanden bekommt. Das ist eine ganz klare Erkenntnis, die jeder Pädagoge und Psychologe bestätigen wird. Es ist zwar nicht zwingend so, dass jeder, der Verantwortung hat, auch mit Verantwortungsgefühl gesegnet ist, aber ohne Verantwortung kann es kein Verantwortungsgefühl geben.

Könnte es also sein, dass die Feigheit der Deutschen in einem fehlenden Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft beruht? Und könnte es also sein, dass diese Feigheit bekämpft werden könnte, wenn man dem Volk mehr direkte Einflussmöglichkeiten bei politischen Entscheidungen zugestehen würde? Wer weiß, dass er Einfluss hat, nutzt ihn auch. Wer weiß und erlebt, dass er mit z.B. Volksabstimmungen auf Bundesebene die Politik stark beeinflussen kann, der wird anfangen, sich Gedanken zu machen über Problemlösungen, richtige Strategien, der wird Politikern und Experten zuhören, der wird auch anschließend möglicherweise unbequeme Entscheidungen mittragen, weil er im vorherigen Prozess des Auseinandersetzens mit den Alternativen erkannt haben könnte, dass die schmerzhafte Lösung immer noch die beste ist.

Heute ist der politische Einfluss der Bürger in Deutschland stark begrenzt. Z.B. im Vergleich zur Schweiz. Ich fordere also schlicht mehr direkte Demokratie. Sie würde das Verantwortungsgefühl wecken. Die Leute würden einen Machtzuwachs spüren. Machtzuwachs ist auch mit Lust verbunden. Das schafft Motivation sich politisch zu informieren, teilzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Die "deutsche Quengelei" (Sibylle Berg in einem lesenswerten Interview in der Netzeitung), dass die da oben es endlich mal machen sollen, würde abnehmen.

Die Leute, die argumentieren, dass die Deutschen für mehr direkte Demokratie nicht reif seien, hören sich für mich wie die alten Herren an der Spitze Chinas oder die Machthaber im Kreml an, die auch behaupten, dass ihr Volk nicht reif sei für eine "ungelenkte" Demokratie. Lachhaft.

Wolfgang Sofsky ist und bleibt ein interessanter und hörens- und lesenswerter Beschreiber dessen, was ist. Z.B. hinsichtlich seiner genauen Beschreibung der unterschiedlichen Typen von Gewalt. Über Sofskys Buch "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg" findet sich z.B. eine aussagekräftige Rezension bei Ultimo-Bielefeld.de im Netz: Handgreifliche Nähe - Wolfgang Sofksy erklärt, warum wir die Gewalt lieben.
Aber es bräuchte eine verstärkte Diskussion darüber, ob es nicht wirklich jenseits dämlicher "Ruck-Reden" Mittel und Wege gibt, den "Mehltau" über der deutschen Gesellschaft zu beseitigen. Den Anschub dieser Diskussion darf man allerdings nicht von den Politikern, den Medien oder gar von der Wirtschaft erwarten. Diese sind daran interessiert, die bestehenden Verhältnisse so zu belassen wie sie sind. Einfach deshalb, weil Veränderungen mögliche Machtverluste für sei einleiten könnten. Ein Bluff erster Klasse waren in dem Zusammenhang - als Schlussbemerkung an dieser Stelle - natürlich die zahlreichen von den Arbeitgeberverbänden gesteuerten verdeckten Lobby-Organisationen, die als "Reformbewegungen" auftraten. Allen voran die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Es gehört schon Chuzpe dazu, sich als gesellschaftlicher Reformer aufzuspielen, ohne wirklich die Interessen der Gesellschaft als ganzes im Auge zu haben. Es wird noch lange dauern, bis das Wort "Reform" nicht mehr missverstanden wird als Aufruf zum Machtzuwachs für die Wirtschaft.

Erzeugt Demokratie also Feigheit? Nein! Feigheit ist - wie Sofsky selbst sagt - Produkt der Unfreiheit. Da Demokratie jedoch (theoretisch) Freiheit erzeugen sollte, ist sie Mittel gegen die Feigheit und nicht Wegbereiter für eine Herrschaft der Feigheit.

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