Dienstag, 21. November 2006

Medien kontern Killerspiel-Verbotsrufe

Es scheint so, dass die Politiker-Clique, die die tragischen Ereignisse in Emsdetten zur eigenen Profilierung verwenden möchte, zumindest in einigen Medien auf aufklärerischen Gegenwind stößt. Die populistische Forderung nach einem Verbot sogenannter "Killerspiele" (Welt.de: Amoklauf: Innenminister will Killerspiele per Gesetz verbieten) zieht jenseits von Bild-"Zeitung" und Co. anscheinend nicht mehr so stark.

Hier einige Artikel, die heute erschienen und sich entweder explizit kritisch mit der Verbotsforderung auseinandersetzen oder die Meinung von Experten denen der Politiker entgegenstellen:

  • Tagesschau.de: "Schule kann die Hölle sein". Ein Interview mit einem Kriminalpsychologen.
  • Ein kritischer Kommentar bei Welt.de: Die unnützen Reflexe überforderter Politiker.
  • Zeit.de mit einem lesenswerten Interview mit einem Pädagogen: "Wir haben die falschen Lehrer". Trotz des Titels wird im Interview längst nicht einseitig die Schuld den Lehrern zugeschoben.
  • Selbst Süddeutsche.de, wo in der Vergangenheit oft haarsträubende Artikel zur Gefahr von Computerspielen oder Computern im Allgemeinen (Computersucht!)erschienen, widmet sich dem Thema dieses Mal streng wissenschaftlich. Vorgestellt werden kurz sämtliche Theorien der Psychologie bezüglich des Einflusses von Medien auf das menschliche Verhalten und Erleben. Keine Bange, der Artikel versucht sich so kurz und verständlich wie möglich zu fassen. Mein Kompliment!: Mörderische Medien - Was sagt die Wissenschaft?
  • Und noch ein Artikel von Süddeutsche.de, in dem Thomas von Treichel von den World Cyber Games kurz etwas über das Computerspiel "Counter-Strike" erzählt (Counter-Strike steht bei den Killerspiel-Verbots-Politikern ganz oben auf der Liste): "Counter-Strike ist nicht realitätsnah"
Soweit heutige Artikel zum Thema. Das hervorragende Weblog "d-frag.de" hatte jedoch schon vor Kurzem einen klasse Artikel geschrieben zum Thema "Killerspiele" und den Verbotsforderungen. Anlass war ein extrem schlecht recherchierter, sehr tendenziöser Beitrag im ZDF-TV-Magazin "Aspekte": Wie Kinder Spaß am Morden finden.

Hier noch einige aussagekräftige Zitate aus den oben verlinkten Artikeln:

Uwe Schünemann (CDU) will mit einer Bundesratsinitiative ein Verbot von Killerspielen erreichen. Ziel sei ein Herstellungs- sowie ein Verbreitungsverbot, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Ein Herstellungsverbot sei zwar schwer umsetzbar, da der Großteil der Baller-Spiele im Ausland programmiert werde.
(Welt.de: Amoklauf: Innenminister will Killerspiele per Gesetz verbieten)

Herstellungsverbot heißt also, dass auch den erwachsenen, mündigen Bürgern der Zugang zu derartigen Computerspielen verwehrt werden soll. Ungeachtet der bestehenden Gesetze, die bereits jetzt z.B. die Verherrlichung von Gewalt unter Strafe stellen, soll laut Schünemann eine staatlich kontrollierte Institution die Zensur von Kulturprodukten ausüben.

Schule kann die Hölle sein. Sie ist ein wichtiger Lebensabschnitt, für den man sein ganzes Leben verantwortlich machen kann. Für Versagen und natürlich auch für Glück. Es ist ein Ort in einer wichtigen Zeit, in der man sich täglich auseinandersetzen muss mit Aggression, Kränkung, Lob, Tadel und auch Mobbing. Man steckt in dieser Zeit unheimlich viel ein, das man auch als Menschenrechtsverletzung bezeichnen könnte.
(Tagesschau.de: "Schule kann die Hölle sein")

Der Ruf nach dem Jugendschutzgesetz bedeutet auch, dass schnell eine schnelle Lösung herbeigesehnt wird, statt sich Gedanken über den Umgang mit den Kindern zu machen.
(Welt.de: Die unnützen Reflexe überforderter Politiker)

Wir machen in zweifacher Hinsicht Druck auf die Kinder und Jugendlichen, und insbesondere die deutsche Schulkultur sondert Kinder mit bürokratischer Kälte aus. Das darf man nicht. Meine jüngste Tochter ist in der vierten Klasse, und da sagen die Kinder schon untereinander: Mit dir spiel ich nicht mehr, du kommst nur auf die Hauptschule. Wir nehmen vielen Jugendlichen den Rest von Zukunftsglauben und damit auch die Grundlage jeder Motivation
(Zeit.de: "Wir haben die falschen Lehrer")

Die Erfahrung und Beobachtung von Gewalt hat, insbesondere nach der weithin akzeptierten Lerntheorie von Bandura, vermutlich eine Wirkung, besonders auf junge Menschen. Und diese Wirkung kann negativ sein. Doch niemand, so sind sich die meisten Wissenschaftler einig, wird allein durch den Konsum von Mediengewalt zum Kriminellen oder gar zum Mörder. Hier spielen andere Faktoren eine wichtigere Rolle, die sich auf die Entwicklung eines Kindes auswirken - beispielsweise reale Gewalt im familiären Umfeld.
(Süddeutsche.de: Mörderische Medien - Was sagt die Wissenschaft?)

Computerspiele sind Werkzeuge zur Kommunikation, nicht zur Feindschaft. Analogien für Counter-Strike liegen eher bei den klassischen Brettspielen als in der Realität.
(Süddeutsche.de: "Counter-Strike ist nicht realitätsnah")

Egal, ob das Gespielte Kinder oder Jugendliche wirklich in ihrer charakterlichen Entwicklung beeinträchtigen könnte. Vom Markt gehört, was Verbrechen zeigt. Um sich der Wirkung auf das Publikum ganz sicher zu sein, flechte man das Wort "vergewaltigt" irgendwo ein. Denn im Gegensatz zu den anderen Beispielen, bei denen der Zweck im Rahmen einer Roman-, Film- oder Spielehandlung schon mal die Mittel heiligt, schließlich hat selbst Robin Hood die Reichen beraubt, um den Armen zu geben, schließlich hat James Bond die Welt mehr als einmal gerettet, indem er den Erzbösewicht tötete, sind Vergewaltigungen durch und durch verabscheuungswürdig. Niemand will einen Vergewaltiger spielen. Und deshalb gibt es, soweit mir bekannt ist, auch keine Spiele, in denen man das könnte [...].
(D-frag.de: Wie Kinder Spaß am Morden finden)

Die Forderung eines Verbotes von Killerspielen hat für mich also folgende Schieflagen:
  • Der noch harmloseste Aspekt ist, dass Computerspiele häufig auf "Killerspiele" reduziert werden. Eine ganze Kulturgattung wird hier schnell geächtet.
  • "Killerspiele" sind häufig gar keine Killerspiele, sondern strategisch, taktische Spiele in etwas martialischerem Gewand.
  • Computerspiele oder Medien verursachen keine Gewalt, können aber die Gewaltbereitschaft erhöhen, sofern der Jugendliche bereits Opfer realer Gewaltstrukturen wurde.
  • Das Schreien nach einem Verbot von Killerspielen lenkt ab von der Beschäftigung mit den wahren Ursachen, nämlich den realen Gewaltstrukturen in Schule und Gesellschaft. Die Schule in ihrer Art so zu ändern, dass sie unterstützend für Schüler und Eltern auftritt und nicht aussortierend und vernichtend, erfordert jedoch vorsichtige und komplizierte Lösungen, die außerdem teuer sind. Das scheint den Killerspiel-Politikern zu aufwändig zu sein.
Gut, dass die Medien anfangen, die Pseudolösungen von Wiefelspütz, Bosbach, Schünemann und Schönbohm zu hinterfragen. Die genannten Politiker fangen an, sich bei dem Thema zu blamieren statt zu profilieren. So soll es sein.

Update: (Via Netzpolitik.org) Auch Spiegel.de bringt jetzt einen ausführlichen Artikel, der den Thesen der Killerspiel-Politiker widerspricht: Egoshooter-Debatte: Rohrkrepierer gegen Ballerspiele

Update 2: Wann schafft die TAZ sich endlich mal 'nen RSS-Feed an? Aber Netzpolitik.org hat aufgepasst. Hier drei weitere Artikel zum Thema. Von der TAZ:Update 3: ZDF.de mit einem ganz brauchbaren Artikel, der zu beschreiben versucht, wie diese angeblich so hoch gefährlichen "Killerspiele" eigentlich im Detail auf dem Bildschirm aussehen und was sie dem Spieler bieten. Beschrieben werden Doom und Counterstrike: Killerspiele - Die üblichen Verdächtigen.

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