Samstag, 28. April 2007

Umfragen: Deutsche lieben mehr Überwachung

Der Telepolis-Artikel "Überwachung: Vertrauensseligkeit in den Staat" verweist auf jüngste repräsentative Umfragen von Meinungsforschungsinstituten, die belegen, dass die große Mehrheit der Deutschen in mehr Befugnissen für die Sicherheitsbehörden und einer Intensivierung der Überwachung kein Problem sieht.

Ein Beispiel mehr in der qualvollen Geschichte Deutschlands, dass die Mehrheit nicht immer Recht hat mit ihrer Einschätzung der Lage.

Gäbe es zu diesem Thema eine aufklärerische Presse in Deutschland jenseits einiger auf Technologie-Themen spezialisierten Nachrichtenangebote, dann sähe die Situation sicherlich anders aus.

Die Naivität der Deutschen ist nicht genetisch bedingt. Die Naivität kann nur das Produkt der deutschen Medien und des politischen Systems sein. Es ist eben der große Nachteil der Parteien-"Demokratie", das der einzelne Wähler kaum Einfluss auf die Politik hat und somit verständlicherweise auch sein politisches Interesse schwach bleibt.

Eigentlich müssten die Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt haben. Eigentlich gibt es bislang keinen Grund, übermäßige Angst vor Terroranschlägen zu haben. Eigentlich gibt es kluge Journalisten, selbst in der Redaktion der ARD-Tagesschau. Eigentlich haben die Befürworter von mehr Überwachungsbefugnissen keine stichhaltigen Argumente vorzuweisen. Eigentlich blamieren sich die Überwachungsbefürworter in ihren Interviews regelmäßig und können ihre Behauptung, dass diese und jene Maßnahme mehr Sicherheit bringe, nicht belegen.

Eigentlich.

Aber die Verletzung des Datenschutzes ist unsichtbar. Die Macht der Daten ist unsichtbar. Das Missbrauchspotenzial ist unsichtbar. Und wenn man bedenkt, wie wohl tatsächlich viele Menschen im 3. Reich nicht mitbekamen, wie plötzlich Nachbarn in ihrer Umgebung spurlos verschwanden, dann kann man sich ausmalen, was erst passieren muss, welcher Missbrauch erst tatsächlich Realität werden muss, damit die große Mehrheit aufwacht.

Das gefährliche Neue ist aber - nochmals - die digitale Natur der Daten. Der Missbrauch digitaler Daten ist so schnell und unsichtbar und so umfassend möglich, dass sich einem Staat, der auf umfangreiche Datenberge digital zugreifen kann, niemand, wirklich niemand mehr effektiv entgegen stellen könnte, sollte dieser Staat und seine Regierung in ihrem Handeln auf die schiefe Bahn geraten. Onlineüberwachung, Telefonverbindungsüberwachung, Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen und an Autobahn-Mautbrücken oder im öffentlichen Nahverkehr samt möglicher kommender automatischer Gesichtserkennung, der Online-Abgleich von digitalen Passfotos und Fingerabdrücken, der mögliche Zugriff auf die Festplatten der Computer von Bürgern, die Überwachung von Finanzdaten und so weiter und die leichte Vernetzbarkeit all dieser digitalen Daten und ihre automatische Auswertung und Filterung per Knopfdruck schafft nicht nur einen gläsernen Bürger, sondern auch einen in seinem Datennetz gefangenen Bürger.

Einzelne Terroristen, die nur Angst verbreiten wollen, würden trotzdem Erfolg haben. Sie finden auch weiterhin obskure Wege, um sich untereinander zu verständigen. Weil es Wenige sind und sie zudem enorm risikobereit sind. Terroristen sind auf eine breite Kommunikation nicht angewiesen, deshalb können sie auch leichter möglichen Überwachungsmaßnahmen aus dem Weg gehen. Terroristen "sprechen" halt durch ihre Anschläge. Leider. Mögliche zukünftige Bürgerrechtler jedoch, die eine breite gesellschaftliche Opposition entstehen lassen wollten, wären durch die Macht dieser Daten von vornherein schachmatt gesetzt, weil ihr Machtmittel die Kommunikation ist und nicht Bomben.

Gefährlich ist schon die pure Existenz all dieser Daten. Es reicht nicht, per Gesetz den Zugriff auf diese Daten einzuschränken. Wie schnell sich die Regierung oder einfach irgendwelche Beamten in den Behörden über solche gesetzlichen Schranken hinwegsetzen könnten, wurde ja gerade deutlich, als herauskam, dass Schily einfach befahl, illegal Onlinedurchsuchungen durchzuführen. Wenn schon der oberste Verfassungsschützer, also der Bundesinnenminster, keine Probleme darin sieht, die Verfassung zu missachten, was mag da erst in den Köpfen einiger Beamte vorgehen, die wissen, dass sie mal eben per Knopfdruck an interessante Daten kommen können und ihnen der illegale Zugriff auf diese Daten noch nicht einmal nachgewiesen werden kann? Und angenommen, irgendeine zukünftige Regierung würde aus welchen Gründen auch immer nicht mehr ernsthaft daran interessiert sein, Gesetze einzuhalten, wer wäre in der Lage noch gegen diese Macht, die ihr aus den Datenbergen erwächst, anzugehen?

Der wirksamste Schutz vor Missbrauch ist nicht die oftmals lückenhafte gesetzliche Regelung des Zugriffs auf die Daten, sondern die Vermeidung der Erhebung von Daten. Datensparsamkeit heißt das im Jargon der Datenschützer.

Woran liegt es also, dass die Chefredakteure in Deutschland die Brisanz dieses Themas bislang immer noch konsequent verkennen und dass Journalisten in den von ihnen geführten Interviews so oft ihr Unwissen offenbaren? Vielleicht daran, dass es alte Säcke sind, die gerade mal wissen, wie man eine E-mail verschickt und ansonsten von digitaler Informationstechnologie nichts verstehen?

Ich weiß es nicht. Es ist ein Rätsel.

Technorati-Tags: , , ,

0 Kommentar(e):