Sonntag, 22. April 2007

Wenn der Staat schützen will, braucht der Bürger häufig Schutz

Murat Kurnaz' Buch erscheint morgen. Welt.de interviewte ihn: So wurde ich in Guantánamo gefoltert.

Die schockierenden Schilderungen von Kurnaz über die Foltermethoden in Guantánamo sollte man sich unbedingt durchlesen. Unter anderem auch, um zu sehen, wie schnell ein Rechtsstaat zum brutalen Folterer werden kann. Und um zu begreifen, wie groß das moralische Versagen der deutschen Behörden und der deutschen Politiker wie zum Beispiel eines gewissen Herrn Steinmeier eigentlich ist:

WELT ONLINE: Deutsche Elitesoldaten befragten Sie im Gefängnis in Afghanistan, deutsche Geheimdienstmitarbeiter besuchten Sie auf Guantánamo. Hatten Sie da nicht die Hoffnung, dass Ihnen endlich geholfen würde?
KURNAZ: Die Araber im Gefängnis, meine Nachbarn, die wussten, dass ich aus Deutschland komme. Die sagten mir immer: Deutschland ist berühmt für Gerechtigkeit, für Demokratie. Du brauchst Dir keine Sorgen machen, wir sind uns sicher: wenn jemand hier entlassen wird, dann wirst Du es sein. Deutschland wird sich einsetzen. Über Jahre sah ich dann, wie andere europäische Länder ihre Staatsangehörigen abholten, die Dänen als allererstes, dann die Briten, dann andere. Plötzlich war ich der letzte Europäer auf Guantánamo. (Quelle)


Und Fr-Online.de zu einem ähnlichen Thema: Europarat kritisiert Bedingungen in psychiatrischen Anstalten in Deutschland: Dunkle Zellen, Schläge, Beschimpfungen.

Darin:

Im Bericht der Abgeordneten heißt es: "Allen Polizeibeamten ist deutlich zu machen, dass Gewaltanwendung bei einer Festnahme sich auf das unbedingt erforderliche Maß beschränken sollte und keine Schläge gerechtfertigt sind, sobald die Betroffenen unter Kontrolle gebracht worden sind. Allgemeiner gesagt, sollten sie regelmäßig und angemessen daran erinnert werden, dass jede Form von Misshandlung - einschließlich verbaler Beschimpfung - festgehaltener Personen nicht akzeptabel ist und entsprechend bestraft wird." Insbesondere das Personal der Untersuchungshaftanstalt Hamburg und der Haftanstalt Fuhlsbüttel sei darauf hinzuweisen, "dass respektloses, verächtliches und/oder rassistisches Verhalten nicht hinnehmbar ist und entsprechend bestraft wird". Gleiches gelte für das Personal im Psychiatrischen Zentrum Neustadt (Schleswig-Holstein), stellen die Abgeordneten des Europarats fest. [...] Damit ist die Mängelliste aber noch nicht zu Ende: Erwachsene und jugendliche Straftäter werden gemeinsam untergebracht, ebenso wie Kriminelle und Abschiebehäftlinge, die nichts getan hätten, außer im falschen Land zu sein, monieren die Parlamentarier. (Quelle)


Die furchbare seelische und körperliche Folter, der Kurnaz in Guantánamo ausgesetzt war, ist zwar nur ansatzweise vergleichbar mit den Bedingungen in deutschen Anstalten oder Gefängnissen oder dem schlechten Benehmen deutscher Polizisten. Beides zeigt jedoch, wozu ein angeblich demokratischer "Rechtsstaat" fähig ist, wenn jemand zum Verdächtig(t)en wird.

Und Heribert Prantl schreibt bei Süddeutsche.de in dem neuen, erhellendem Artikel "Vom Umbau des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat":

Die Ausländer- und Asylpolitik war ein Menetekel - die Beschränkung der Individualrechte, die Vereitelung des grundgesetzlich garantierten Rechtsschutzes, wurde dort vorexerziert: Der Rechtsschutz im Asylrecht ist kaum noch existent; und im Ausländerrecht gelten Ausländer grundsätzlich als verdächtig. Die Unschuldsvermutung ist hier längst abgeschafft. Ausländer werden wegen Straftaten abgeschoben, ohne dass sie wegen dieser Taten verurteilt worden sind. Die "Sicherheit der Bundesrepublik" genügt zur Rechtfertigung einschneidendster Maßnahmen. (Quelle)


Die Pläne von SPD und Union laufen in die Richtung, alle deutschen Bürger quasi zu solchen "Ausländern" zu machen. Es ist die Logik des Präventionsstaates, die - so wie Schäuble dies heute schon nachlesbar tut - letzendlich auch Folter akzeptiert, Foltergeständnisse als nötig ansieht, um das anscheinend jetzt nur noch alleine gültige Recht auf "Sicherheit" zu gewährleisten.

Die Vorfälle in Guantánamo und das Versagen der deutschen Behörden im Umgang mit Verdächtigen schon heute zeigen, dass eben nicht gilt, dass wer nichts zu verbergen hat, auch nichts zu befürchten habe. Wie wird das erst, wenn die Behörden dank neuer Datenberge noch mehr "Verdächtige" meinen zu identifizieren?

Interessant finde ich übrigens, dass Schäuble & Co, große Teile der SPD und der Union im Grunde genommen sich ähnlich verhalten mit ihrem Glauben an oder ihrem Streben nach Herstellung einer hundertprozentigen Sicherheit durch den Staat wie die Islamisten. Auch die Islamisten glauben ja, dass ein menschengemachtes Staatswesen, in diesem Fall ja ein islamistischer Gottesstaat, das Heil für alle Menschen bringen könnte. Genauso wie Schäuble & Co. glauben, ein Präventionsstaat könne das Heil bringen. Beides sind fundamentalistische Ideen, die dadurch charakterisiert sind, dass andere Werte, wie zum Beispiel der Schutz der Freiheitsrechte des Einzelnen, der Schutz des Einzelnen also vor staatlicher Willkür, weniger gelten als das "Heil" der Allgemeinheit. Weil die Allgemeinheit sich jedoch aus Einzelnen zusammensetzt, ist es schlussendlich paradox, das Heil der Allgemeinheit in Gesetzen oder beim Handeln des Staates über die Rechte des Einzelnen zu stellen.

Dieses Paradoxon und die Vernachlässigung vieler Werte zu Gunsten eines einzigen Wertes - bei Schäuble das "Heil von Gesundheit und Leben", bei den Islamisten das "religiöse Heil" - machen Schäuble & Co. mit ihrer einseitigen und fundamentalistischen Politik quasi zum Spiegelbild der einseitigen und fundamentalistischen Politik der Islamisten. Da bei den Islamisten sich das "religiöse Heil" aus mehreren zu beachtenden Werten zusammensetzt, ohne die das religiöse Heil nicht erreicht werden kann, sind die Islamisten sogar weniger fundamentalistisch als es die Innenpolitik eines hundertprozentigen "Präventionsstaates" wäre.

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