Sonntag, 8. Juli 2007

Schäuble fordert mehr Freiheit und weniger Sicherheit!

Mehr Freiheit für die Sicherheitsbehörden und weniger Rechtssicherheit für die Bürger fordert Schäuble nämlich. Also so wie immer. Nur in noch einmal extremerem Maße als bislang (ja, das ist möglich).

In einem Interview mit dem Spiegel äußerte Schäuble verschiedenste Dinge. Spiegel.de informiert online bislang nur bruchstückhaft. Heise.de erläutert:

Auch die "gezielte Tötung von Verdächtigen" ist für Schäuble nicht etwa ein vom Grundgesetz strikt verbotenes Tabu, sondern ein "rechtliches Problem", das nach Ansicht des Innenministers bisher noch "völlig ungeklärt" sei. Als Beispiel dafür führte er die mögliche Ergreifung von Osama Bin Laden an. Deshalb fordert Schäuble mehr rechtliche "Freiheiten" für die Regierung. (Quelle)


Was Schäuble nun genau gesagt hat, muss man wohl im Spiegel-Magazin nachlesen, sobald es erscheint.

Ist schon das Vorenthalten eines fairen Verfahrens für einen eines Verbrechens Beschuldigten nicht hinzunehmen (Beispiel Osama Bin Laden), so würden Schäubles Vorschläge zum Umgang mit "Verdächtigen" und "Gefährdern" einen noch eklatanteren Verstoß gegen das Grundgesetz und die Menschenwürde darstellen, wenn Schäuble mit seinen zusätzlichen "Freiheiten" für den Staat auch Leute treffen will, die nur der möglichen Planung eines Verbrechens beschuldigt werden.

Der Weg zum Vorgehen des Staates auch gegen Leute, die gar kein Verbrechen begangen haben, ist bereits geebnet - nämlich durch die bereits bestehende Möglichkeit des Unterbindungsgewahrsams und durch die Möglichkeit, Ausländer auch nur bei einem vagen Verdacht, dass sie mit einer kriminellen Tat in Verbindung stehen, abschieben zu können. Diese beiden Prinzipien will Schäuble schlicht ausweiten, so scheint es.

Was zeigt, dass der Schutz der Menschenwürde bereits rissig ist in Deutschland. Und diese Risse kann man nun dazu verwenden, um hier Hebel und Stemmeisen anzusetzen, um diese Risse zu vergrößern. Statt also die Vorschläge Schäubles zu diskutieren, sollte man lieber diskutieren, diese bereits vorhandenen Risse beim Schutz der Menschenwürde wieder aus dem Gesetz zu beseitigen! Leider werden solche Forderungen dank der radikalen Angriffe Schäubles und der Union auf das Grundgesetz kaum irgendwo Gehör finden.

Eventuell dienen die immer radikaler werdenden Vorschläge auch nur dazu, damit die SPD zumindest die Online-Durchsuchung mitmacht. Die Online-Durchsuchung an sich ist schon radikal. Im Vergleich zu den jetzt gemachten Vorschlägen Schäubles verliert die Online-Durchsuchung jedoch in der Wahrnehmung an Radikalität. Ein bekanntes psychologisches Phänomen ("Gummiband-Theorie" zur Urteilsbildung von Volkmann, 1951; später weiter ausgearbeitet von Upshaw, 1962): Beim Erstellen von Wertungs-Urteilen verschiedenster Art (beispielsweise um Urteile zu fällen hinsichtlich solcher fragen wie: Wer sieht gut aus? Welches Gehalt ist angemessen? Was für ein Verhalten ist moralisch gut oder schlecht und so weiter) würden Menschen die gesamte Bandbreite der ihnen bekannten, möglichen Ausprägungen des zu bewertenden Dinges berücksichtigen. Die Menschen beziehen bei ihrer Urteilsbildung die möglichen radikalsten Positionen und Ausprägungen mit ein, um so die relative Position einer zu beurteilenden Sache auf dieser Skala zwischen den gerade noch vorstellbaren Extremwerten festzumachen. War vorher "Online-Durchsuchung" also beispielsweise ganz in der Nähe des Skalen-Endpunktes "moralisch extrem schlecht" oder "politisch undenkbar" angesiedelt, so verschiebt sich die Online-Durchsuchung nun durch die weiteren, neuen Vorschläge in die Mitte der imaginären Skala zwischen "moralisch extrem schlecht" und "moralisch gut" oder zwischen "politisch undenkbar" und "politisch selbstverständlich" (oder ähnliche Bewertungsdimensionen), weil die neuen Vorschläge Schäubles (beispielsweise der Vorschlag, Verdächtige notfalls zu töten) einen neuen Bezugspunkt setzen für den jeweiligen Endpunkt der Bewertungsskala. Die neuen Vorschläge erweitern die Skala zu diesem einen, "schlechten" Ende hin und die Online-Durchsuchung erscheint in diesem Lichte dann nicht mehr als so verwerflich.

Sind die neuen Vorschläge also ein Trick, um der SPD die leichtere Zusage zur Online-Durchsuchung zu ermöglichen?

Schäubles Vorschläge zeichnen sich durch zwei Dinge aus:
  • Er will gegen Leute vorgehen, bevor etwas passiert ist. Es geschah also noch gar kein Verbrechen.
  • Und er will allgemein gegen Verdächtige/Gefährder (ob vor oder nach einem Verbrechen verdächtig) rigoroser vorgehen durch umfassende Überwachung oder gar Kommunikationsverbot oder gar anscheinend langfristiges Einsperren (oder gar Töten?).
Aber zumindest das Töten jenseits einer Notwehr- oder Nothilfesituation denkt Schäuble anscheinend nur für Fälle an, wo tatsächlich ein Verbrechen bereits geschah. Allerdings plant er ja die Einführung eines neuen Straftatbestandes der "Verschwörung". Dann würde das Problem beim ersten Punkt, dass es also eventuell noch gar kein Verbrechen gab, wegfallen. Wir wären dann allerdings beim "Gedankenverbrechen" aus dem Roman "1984" von George Orwell angekommen.

Überhaupt ist schon erstaunlich, wie gut Schäuble die Linie des Romans "1984" einhält. Es sind nicht nur die geplanten "Gedankenverbrechen", sondern beispielsweise auch sein Vorhaben, dass der Staat wissen müsse, was jemand vorhat oder sein Angriff in seinen jüngsten Vorschlägen auf die Trennung zwischen Krieg und Frieden. Auch in "1984" ist ein grundlegender Wesenszug der Gesellschaft, dass das Motto "Krieg ist Frieden" propagiert wird.

Ist es nicht seltsam, wo diese Debatte um die Innere Sicherheit inzwischen gelandet ist? Ganz am Anfang nach dem 11. September standen Vorschläge im Vordergrund, wie man die technische Arbeit der Sicherheitsbehörden verbessern könnte. Von neuen Gesetzen war da nicht die Rede. Stattdessen von einbruchssicheren Cockpits, Air-Marshalls, besseren Flughafenkontrollen und so weiter. Dann wurde die bessere Arbeit der Geheimdienste gefordert: Bessere Ausbildung, bessere Ausstattung, mehr Personal, das Arabisch spricht und in die Szene eintauchen kann. Alles noch im Rahmen bestehender Gesetze. Und mit der Zeit kamen dann die Forderungen auf, den Datenschutz teilweise auszuhöhlen beispielsweise per Vorratsdatenspeicherung. Dann die Forderung, die seit 60 Jahren bewährte Trennung von Polizei und Geheimdiensten aufzuweichen mit der Anti-Terror-Datei. Dann die Forderung, dass der Polizei geheimdienstliche Mittel wie heimliche, unsichtbare Ausforschung des intimsten Privatbereichs der Bürger erlaubt sein müsse, bevor es überhaupt zu einem Verbrechen gekommen ist (Online-Durchsuchung). Und schließlich die Forderung nach Aufhebung der Trennung zwischen Kriegs- und Friedenszustand, der öffentlich geäußerte Wunsch Schäubles nach Einschränkung der Kontrolle der Exekutive durch die Legislative (keine Kontrolle der Geheimdienste mehr durch das Parlament) und das Absprechen der Menschenwürde von vage und letztlich willkürlich einer möglichen Verbrechensplanung Beschuldigten.

Schaut man sich diese Entwicklung an, könnte man meinen, dass es seit dem 11. September 2001 bei uns in Deutschland eine enorm große Menge an Terroranschlägen gegeben hätte oder dass man seit dem 11. September gar nichts gemacht habe, dass die Sicherheitsbehörden faul die Hände in den Schoß gelegt hätten seitdem und der Staat am Rande des Zusammenbruchs stehen würde.

Ist es da immer noch hysterisch, von einer Lawine zu sprechen, die die Politik (Union, SPD und Grüne und auf Länderebene - siehe Polizeigesetze - auch die FDP) hier in Gang gesetzt hat, um die Fundamente des Rechtsstaates auszuhöhlen?

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