Stasi-Methoden der Bundesanwaltschaft
Ich habe mich bislang zurückgehalten, über die Inhaftierung von dem Soziologen Dr. Andrej H. wegen Anklage durch die Bundesanwaltschaft mehr zu schreiben. Aus dem einfachen Grund, weil ich bislang einfach nicht glauben konnte und wollte, dass die Bundesanwaltschaft nicht insgeheim doch noch gravierende Beschuldigungen und Indizien, gar Beweise für die mögliche Schuld von Andrej H. vorbringen würde. Vielleicht wollte oder konnte sie diese Beweise bislang nicht vorbringen, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden. Das dachte ich bislang in meiner Naivität tatsächlich. Aber nun hat die Anwältin von Andrej H. anscheinend Einblick nehmen können in die Akten der Bundesanwaltschaft, wie Zeit.de und Taz.de berichten - und das Ergebnis ist niederschmetternd.
Niederschmetternd für die Bundesanwaltschaft und für den Rechtsstaat Deutschland und die Sicherheit der deutschen Bürger.
Es scheint nun sogar so zu sein, dass die bislang hanebüchenen Anklagepunkte der Bundesanwaltschaft gegen Andrej H. sogar vor dem zuständigen Ermittlungsrichter noch aufgebauscht worden waren, um Andrej H., verheiratet und Vater von drei kleinen Kindern mit fester Arbeitsstelle, sofort festnehmen zu lassen. Noch mehr: Unter Terrorverdacht festnehmen zu lassen, was zum Beispiel auch bedeutet: Einzelhaft und strenge Überwachung seiner Kommunikation mit der Außenwelt.
Was war geschehen? Gab es Terroranschläge mit Todesfolgen? Musste die Bundesanwaltschaft unter einem erheblichen Druck der Öffentlichkeit gemeingefährliche Taten aufklären? Mitnichten. Die neben Andrej H. Angeklagten werden vor allem der Brandstiftung beschuldigt. Brandstiftungen, bei denen bisher glücklicherweise niemand zu Schaden kam und nur Sachschäden entstanden.
Und laut Anklage der Bundesanwaltschaft soll Andrej H. ja noch nicht einmal aktiv mitgemacht haben bei der Ausführung dieser Brandstiftungen. Sein Vergehen scheint es zu sein, sich allem Anschein nach einmal mit einigen der anderen Angeklagten an einem öffentlichen Ort getroffen zu haben und ansonsten öffentlich (im Internet) Wörter verwendet zu haben, die die anderen vermeintlichen Terroristen der "Militanten Gruppe" auch in ihren Bekennerschreiben benutzt haben, welche sie an den Orten ihrer bekloppten Brandstiftungen hinterlassen hatten.
Wörter! Einzelne Begriffe! Andrej H., der Doktor der Soziologie, hatte diese Wörter (namentlich "Gentrifizierung" und "Prekarisierung") im Kontext wissenschaftlicher Theorien verwendet, in denen diese Wörter zudem ganz normal von vielen Experten verwendet werden. Andrej H. schrieb also keine Hetzschriften, Aufrufe zu Gewalt, Beleidigungen, Volksverhetzungen oder lieferte irgendwelche für Terroranschläge geeignete Theoriegebäude. Nichts dergleichen, so scheint es.
Wer jetzt nicht die Fassung verliert, der ist entweder gerade nicht wach, zu beschäftigt mit anderen Problemen oder zu unsensibel, um sich die Auswirkungen einer derartigen Vorgehensweise unseres Staates gegen allem Anschein nach unbescholtene Bürger auch nur ansatzweise auszumalen.
Denn das Vorgehen der Bundesanwaltschaft gegen Dr. Andrej H. hat nicht nur für ihn selbst schlimme Folgen, sondern für uns alle.
Wenn auf derart überzogene Art und Weise Leute in Deutschland sofort unter Terror-Verdacht in die Isolationshaft wandern können - und vor allem zuvor über Monate intensiv belauscht und jeder Schritt von ihnen beobachtet werden kann - dann unterscheidet sich dieser Staat in einem wesentlichen Punkt tatsächlich nicht mehr von der ehemaligen DDR.
Der Vorfall rund um Dr. Andrej H. zeigt, dass der Staat bereits jetzt zu unkontrolliert und zu locker Bürgerrechte beschneiden darf. Das Gerede der Politiker, dass noch mehr Befugnisse für die Strafverfolgungsbehörden nötig seien in Form der Vorratsdatenspeicherung, der Online-Durchsuchung oder neuer Polizeigesetze, wie aktuell in Baden-Württemberg, ist ein absoluter Skandal. Im Gegenteil: Weniger Überwachungsbefugnisse und weniger Daten in den Händen der Strafverfolgungsbehörden sind nötig oder umgekehrt eine viel stärkere, unabhängige Kontrolle des Umganges der Strafverfolgungsbehörden mit diesen Daten.
Vor allem der Terrorparagraph 129 gehört abgeschafft. Das fordert auch der Doktorvater von Andrej H., Professor Häußermann, in einem lesenswerten Interview mit Zeit.de
Viele Wissenschaftler sind entsetzt über das Vorgehen der Bundesanwaltschaft. Auch international fragt man sich, was derzeit hier in Deutschland abgeht, beispielsweise in diesem Bericht im englischen Guardian oder in diesem Kommentar des berühmten englischen Soziologen Richard Sennett.
Auch dass Andrej H. nun noch vor dem Haftprüfungstermin vorläufig wieder aus der Haft entlassen wurde, macht die Sache keinen Deut besser. Die monatelange Überwachung kann das nicht rückgängig machen. Und die unbelehrbare Bundesanwaltschaft hat bereits Beschwerde gegen die Entlassung von Andrej H. auf Kaution eingelegt.
Die deutschen Medien halten sich weiterhin auffallend "vornehm" zurück bei etwaiger Kritik am Vorgehen des BKA und der Bundesanwaltschaft. Wieder ein Indiz mehr, dass man sich auf sie - anders als in der Vergangenheit - nicht mehr verlassen kann als mögliche wirksame Mahner und Intervenierer bei Fehlverhalten des Staates.
Nachtrag: Zeit.de bringt einen interessanten Artikel über ein Treffen mit einem Berliner namens Martin Donau, der auch von der Bundesanwaltschaft der Mitgliedschaft bei der "Militanten Gruppe" verdächtigt wird und umfassend vom BKA observiert wurde und wird. Dieser Mann, der alle Vorwürfe abstreitet, sagt einen interessanten Satz:
Vor allem aber, erklärt er, gibt es da ein Bundeskriminalamt mit einer Abteilung für Inlandsterrorismus. Nur den Inlandsterrorismus, den gebe es nicht. Das sei ein Problem für die Mitarbeiter. (Quelle: Zeit.de)
Und mir stellt sich die Frage: Bin ich jetzt auch Terror-Unterstützer, weil ich einen Satz eines angeblichen Terroristen wohlwollend zitiert habe?
Ältere Weblog-Einträge zum Thema:
- Immer mehr Überwachung trotz immer weiter sinkender Bedrohung
- BKA dringt in Parallelwelten vor: Neue Dimensionen des Linksextremismus entdeckt
- Arbeitsverweigerung bei der Bundesanwaltschaft?
4 Kommentar(e):
Der einzige Vorteil den ich in der ganzen Sache sehen kann, ist der, dass man sich demnächst Forentreffen und andere Partys auf denen man sich ausserhalb des Internets trifft um sich kennen zu lernen, sparen kann. Demnächst treffen sich alle Nerds beim Freigang... :-))))))
Wenn jetzt wer sein schlechtes Gewissen erleichtern (ihr seht ja, die kriegen alles raus) und den Ermittlungsbehörden mühsames googeln ersparen will, der kann z.B. die im Heise-Forum (linker Haufen das!) vorliegende Selbstbezichtigung ausfüllen und an unsere wackere Generalbundesanwaltschaft schicken.
Und nur dass das klar ist: Falls wir im Knast die gleiche Zelle teilen - ich schlafe oben!
*#§%$& rzft! Sorry solon, der richtige Link zur Selbstbezichtigung ist DER HIER.
Ja, es könnte tatsächlich voll werden im Knast, wenn die Bundesanwaltschaft ernsthaft weiter derart vorgeht.
Ich hab nichts einzuwenden, wenn man die Sache noch locker sehen kann. Aber ich persönlich kann darüber nicht mehr lachen. Schließlich ist das für Betroffene, die derart observiert werden, kein Pappenstil. Es erscheint mir durchaus möglich, dass eine solche Observierung auch im Nachhinein traumatisierend wirken kann auf die Betroffenen. Bei den heutigen technischen Möglichkeiten der Überwachung kann ich mir vorstellen, dass dabei jeder letzte Winkel deiner Privatsphäre ausgeleuchtet wird. Und das nur, weil man Schriften ins Internet gestellt hat, von denen ich, was die wissenschaftlichen Texte von diesem Dr. Andrej H. betrifft, annehme, dass sie harmloser waren als beispielsweise so manche Texte hier in meinem Weblog.
@ninjaturkey: Der Link zu der Selbstbezichtigung scheint nicht richtig zu funktionieren. Er führt hier auf den Kommentarbereich zurück und nicht ins Heise-Forum, zu dem gefährlichen linken Haufen dort.
Update: Ah, du hast den Fehler mit dem Link schon selbst bemerkt. Brav. ;-)
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