Montag, 11. Dezember 2006

Gefahr für Freiheit: Niedersachsens Innenminister will Razzien bei "Killerspiel"-Spielern

(Via Netzpolitik.org) Uwe Schünemann, Innenminister von Niedersachsen, äußerte in einem Interview bei Stern.de:

[Stern.de:] "Demnächst müssen also alle Spieler mit Razzien zu Hause rechnen?" [Schünemann:] "Natürlich. Diejenigen, die die brutalen, verbotenen Spiele spielen, müssen damit rechnen, dass sie dingfest gemacht werden. Das halte ich auch für richtig." (Quelle)


Ich könnte jetzt kurz auf diese dummdreiste Forderung von Schünemann eingehen und das war's dazu. Und eigentlich hasse ich längere Blog-Artikel. Liest eh kein Mensch. Anders ausgedrückt könnte man sagen: "Ach, der Schünemann..." und das ganze über sich ergehen lassen. Schließlich ist man ja raus aus dem Alter, in dem man noch Computerspiele spielte. Keine Gefahr also für einen persönlich und so weiter.

Doch es wäre einmal ein Artikel fällig, der deutlich macht, was in Deutschland gerade los ist. Hier zumindest ein paar einleitende Gedanken. Ich versuche trotz der Länge keine überflüssigen Worte zu machen.

Schünemanns Äußerungen sind meiner Beobachtung nach leider Teil eines größeren Dingsbums.

Es gibt in Deutschland nämlich einen Kreis an Politikern, Lobbyisten und Medien, der hart und äußerst geschickt daran arbeitet, Freiheitsrechte einzuschränken. Das ist weniger eine Verschwörung als vielmehr ein loser Verbund von Akteuren, die auf verschiedene Art und Weise Profit daraus schlagen wollen, Freiheitsrechte der Bürger auf unterschiedlichen Gebieten einzuschränken.

Wir hätten da zum Beispiel die Lobbyisten der Urheberrechte-Verwerter, die ihr im digitalen Zeitalter veraltetes Konzept, sich über den Verkauf von Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken zu finanzieren, durch die Einschränkung von Freiheitsrechten der Bürger retten wollen, statt ihr Geschäftsmodell zu überarbeiten.

Wir hätten da die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste, die im Kampf gegen den Terrorismus nach Ende des kalten Krieges genau das Mittel gefunden haben, um sich vor Sparmaßnahmen der Politik zu schützen.

Wir hätten da Politiker, die die Sorgen und Ängste der Bevölkerung aufgreifen und dem Volk einfache, populistische Konzepte anpreisen, die zwar aus Sicht von Experten die Probleme nicht lösen, aber wegen mangelnder Aufklärungsarbeit auf Seiten der Medien dennoch ankommen im Volk, um im Volk als "Macher" und "Problemlöser" auftreten zu können.

Es wird vergessen, dass die Probleme der Urheberrechte-Verwerter andere Urachen haben als "Raubkopierer", dass es andere Lösungen gibt als Massenklagen gegen Verbraucher, dass der kalte Krieg weit gefährlicher und von einer viel größeren Dimension war als der heutige lächerliche Terrorismus von schwachsinnigen Islamisten und dass Maßnahmen zur einfacheren, vollständigen Überwachung der Bevölkerung (Vorratsdatenspeicherung und so weiter) den Terrorismus nicht stoppen und dass das Verbot von "Killerspielen" den Gewalt-Wunsch mancher psychisch kranker Jugendlicher nicht beseitigt.

Es wird vergessen, dass der Kollateralschaden all dieser populistischen Konzepte erheblich ist: Die Freiheitsrechte der Bürger werden - jedes Mal nur ein winziges, aber entscheidendes Stückchen - weiter eingeschränkt.

Die deutsche Gesellschaft wandelt sich gerade. Der paternalistische Staat ist erneut auf dem Vormasch.

Die moderne Technik macht es dabei dem Staat sehr einfach, Überwachungsstrukturen aufzubauen, die:

a) relativ preiswert sind (im Vergleich z.B. zum Anheuern von Massen an informellen Mitarbeitern),
b) sehr effektiv sind, also wirklich sehr gut funktionieren und vollständig überwachen,
c) deren Existenz und Wirken dem normalen Bürger verborgen bleiben.

Sind diese Überwachungsstrukturen erst einmal etabliert, wird es für den Bürger immer schwieriger, sich dem Staat zu widersetzen. Heute fragen sich viele: Warum sollte sich der Bürger dem Staat widersetzen? Ist solch ein Widersacher nicht automatisch ein Krimineller, der etwas zu verbergen hat, der also zu Recht vom Staat überwacht und kontrolliert wird?

Es wird dabei übersehen, dass Überwachung Macht bedeutet. Die Demokratie lebt jedoch von der Aufteilung der Macht auf verschiedene Akteure, um die Macht zu begrenzen. Um also den Bürger zu schützen vor einem Macht-Ungleichgewicht im Staat und damit vor einer Staats-Übermacht, die der Bürger (der eigentliche Staats-Souverän!) selbst nicht mehr kontrollieren kann.

Die moderne Technik mit ihrer sanften, unbemerkten, aber dennoch so einmalig effektiven Überwachung lässt den Bürger nicht bemerken, welche Macht sich da ansammelt bei einigen Akteuren im Staat.

Die moderne Staatsphilosophie lehrt, dass ein Machtungleichgewicht im Staat immer zu einem Missbrauch der Macht führt. Wird also die Ausweitung der Überwachung und die Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte nicht beendet oder die Überwacher selbst nicht besser überwacht, schlittert Deutschland irgendwann unweigerlich in eine Situation, in der der Staat den Bürgern entgleitet. Man könnte die Situation in Russland hier durchaus als warnendes Beispiel vor Augen führen, auch wenn die Geschichte Russlands natürlich völlig anders aussieht als die jüngste Geschichte Deutschlands.

Noch sind die von den Politikern beschlossenen Überwachungsgesetze befristet. Noch sind nicht alle Dämme gebrochen. Noch darf nicht jede Firma, die irgendwo im Internet einen Anspruch gegen Privatpersonen durchsetzen will sofort an die Adressdaten der Privatpersonen gelangen, noch werden "nur" die Internetspuren aller Bürger aufgezeichnet und noch nicht die realen Bewegungsprofile auf dem Bürgersteig (sofern zumindest das Handy ausgeschaltet ist) oder die Bewegungsprofile auf den Autobahnen.

Aber die Entwicklung geht genau weiter in diese Richtung: Die Maut auch für PKWs wird disktutiert. Dann fallen vielleicht auch bald via Mautsystem automatisch erzeugte Bewegungsprofile der PKWs an und der Wunsch nach Auswertung dieser Daten, um Terroristen, Kinderschänder, Produktpiraten ("organisierte Kriminalität") und so weiter zu fassen, wächst. Die allgemeine Impressumspflicht für jede deutsche Internetwebsite wird kommen. So wird für den Privatmann die Meinungsfreiheit im Internet risikoreicher (siehe hierzu auch meine Weblog-Einträge: Meinungsfreiheit ist kein deutsches Thema und Schäuble & Co. sind eine Gefahr für die Gesellschaft). Und so weiter. Ein Steinchen wird auf das andere gesetzt.

Und die Medien kriegen diese Entwicklung bislang entweder tatsächlich noch nicht mit oder sie sind aus irgendwelchen Gründen nicht daran interessiert, zumindest überhaupt einmal warnende Stimmen gegen diesen Trend in ausreichendem Maße zu Wort kommen zu lassen. Warum wird über die Vorratsdatenspeicherung kaum diskutiert in den Medien? Warum wurde das Gebahren der Bundesanwaltschaft nicht intensiver diskutiert, die auch nach dem Bekanntwerden, dass die angeblichen Terroristen, die in Frankfurt ein Flugzeug in die Luft sprengen wollten, keine Terroristen waren, weiter daran festhielt, es hätte sich doch um gefährliche Terroristen gehandelt?

Nun will also Uwe Schünemann ein weiteres Steinchen beim Abbau von Freiheitsrechten platzieren. Denn wer Jugendschutz dadurch durchsetzen will, dass er die zu schützenden Kinder und Jugendlichen vor allem mit Wohnungsdurchsuchungen und Razzien bedroht, der will nur einschüchtern, aber nicht helfen. Der hasst die Freiheit. Der hasst es, wenn Menschen Kulturgüter konsumieren, die ihm persönlich nicht genehm sind. Experten schlagen andere Wege vor, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Außerdem gibt es bereits Gesetze, die das, was Schünemann da regulieren will, bereits regulieren. Computerspiele, die Gewalt derart verherrlichen, wie Schünemann das im Interview schildert, können bereits heute strafrechtlich verfolgt werden. Schünemann will davon anscheinend nichts wissen. Warum nicht? Warum gibt er sich dermaßen ignorant? Warum hat er es auch hier wieder abgesehen vor allem auf die Freiheitsrechte? Warum dieser erneute Angriff in Form von Hausdurchsuchungs-Drohungen auf einen der letzten Schutzräume des Bürgers vor dem Staat, nämlich seine Wohnung? Bei solch einem im Vergleich zu Themen wie organisierte Kriminalität oder Terrorismus lächerlichen Thema wie "Killerspiele"? Mit welchem Ziel macht Schünemann solche Forderungen? Wozu soll das gut sein? Ist das wirklich nur pure Dummheit auf Seiten von Schünemann?

Eine mögliche Antwort wäre: Schünemanns Forderungen dienen indirekt dazu, das Einschränken der Freiheitsrechte allgemein wiederum ein Stückchen plausibler und akzeptabler zu machen in der Gesellschaft. Der Ruf nach einem Killerspiel-Verbot mit der Androhung von Razzien wäre dann vor allem eines: Den Angriff auf die Freiheitsrechte wiederum ein Stückchen mehr hoffähig zu machen.

Insofern ist die Debatte um ein Killerspiel-Verbot ein weiterer Gradmesser dafür, wie stark in der deutschen Gesellschaft bereits der Glaube verbreitet ist, dass:

1.) Man mit Verboten alles regeln kann.
2.) "Sicherheit" der höchste Wert ist, dem sich alle anderen Werte wie z.B. die Freiheit unterzuordnen haben.
3.) Die Bevormundung der Bürger ein adäquates Mittel ist, um den angeblich höchsten Wert, nämlich die "Sicherheit", zu schützen.


Wenn Schünemann in dem Stern-Interview solche Klöpse wie den oben zitierten äußern kann, ohne dass seine Äußerungen auf massiven Widerstand in der Gesellschaft stoßen, dann hat die Idee der Freiheit in Deutschland bereits mächtigen Schaden erlitten.

Update: Neben obigem "Via"-Link von Netzpolitik.org empfehle ich als zusätzliche Lektüre zum hier Besprochenen auch noch einen Weblog-Eintrag bei "Too Much Cookies": Auf ein Wort: Killerspieldebatte.

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2 Kommentar(e):

Anonym hat gesagt…

Leider ist Schünemann nicht der einzige Innenminister mit solchen Vorstellungen. Beckstein spricht zwar nicht über Razzien, haut aber mit seinen realitätsfremden Kampfparolen in dieselbe Kerbe.

Solon hat gesagt…

Ja, fast alle Länder-Innenminister und natürlich unser Bundes-Schäuble hauen in die gleiche Kerbe. Zuvorderst natürlich Beckstein, Schönbohm, Bosbach, Schünemann und teilweise auch Wiefelspütz (Beauftragter für Inneres in der SPD-Bundestagsfraktion).

Das Fiese an der Sache ist ja, dass man nur lange genug behaupten muss, es gäbe Killerspiele und sie seien eine solche Gefahr, damit das in den Köpfen der Menschen immer weiter verfestigt wird. Wenn ein Innenminister was von sich lässt, etwas nach unten fallen lässt, müssen es die Medien in Deutschland anscheinend kommentarlos auffangen und das vom Minister Ausgeschiedene den "geschätzten" Kunden unter die Nase reiben. Spiegel, Welt etc. hätten ja theoretisch durchaus die Freiheit bei all den ministeriellen Äußerungen eigene kritische Anmerkungen oder Verweise auf Kritiker unterzubringen. Aber man möchte dem Leser wohl die unverfälschte ministerielle Duftnote präsentieren, damit sie ihre Wirkung entfalten kann. Bäh...