Samstag, 10. Februar 2007

Usability ist nicht einfach

Eine gute "Usability" eines technischen Gerätes bedeutet, dass das Gerät einfach zu bedienen ist. Aber was ist "einfach"? Nicht einfach!

Mit Usability bezeichnet man eine Eigenschaft technischer Geräte. Und zwar die Eigenschaft, wie gut oder schlecht sie von Menschen bedient werden können. Man könnte Usability also übersetzen mit "Bedienbarkeit", "Benutzbarkeit" oder ähnlichen Begriffen. Da diese deutschen Begriffe jedoch auch anderweitig und mit andersartiger Bedeutung verwendet werden, erscheint es mir ganz nützlich, beim Begriff "Usability" zu bleiben.

Usability ist eine komplexe Eigenschaft. Das heißt: Es gibt nicht einen oder wenige Faktoren, die bestimmen, wie die Usability aussieht, ob die Usability eines Gerätes also gut oder schlecht ist.

Usability lässt sich von seiner Komplexität her vergleichen mit der Eigenschaft "Nützlichkeit" ("Utility") eines Gerätes. Ob ein Gerät nützlich ist, hängt auch von vielen Faktoren ab, zum Beispiel seiner Funktionsvielfalt, der Zuverlässigkeit eines Gerätes, der Betriebsdauer, der Wartungsfreiheit, der Höhe des Preises, der Präzision, mit der das Gerät seine Aufgaben durchführt und so weiter.

"Nützlichkeit" und "Usability" haben noch mehr gemeinsam: Sie sind nicht alleine abhängig von den technischen Eigenschaften des Gerätes, sondern vor allem auch von den Anforderungen, die der menschliche Nutzer an das Gerät stellt. Soll heißen: Ein und das selbe Gerät kann für den einen Menschen nützlich und bedienbar sein, für einen anderen Menschen jedoch nicht. Und natürlich sind diese beiden Konzepte auch voneinander abhängig: Ein Gerät, das nicht bedienbar ist, ist auch nicht mehr nützlich. Andererseits können Dinge, die das Gerät prinzipiell nützlicher machen (zum Beispiel eine größere Funktionsvielfalt) auch die Implementierung einer guten Usability erschweren. Oft jedoch bedeutet die Erhöhung der Usability eines Gerätes für einen bestimmten Nutzerkreis (zum Beispiel Menschen mit Behinderungen), dass das Gerät auch für den Rest der Nutzer benutzerfreundlicher wird. Die Nützlichkeit eines Gerätes wird jedoch häufig erhöht, indem man das Gerät gezielt für eine ganz bestimmte Nutzergruppe entwickelt. Ein Geländefahrzeug wird für Leute, die es tatsächlich nur für den Einsatz im matschigen Dschungel benötigen, meist nicht besser und nützlicher, wenn man es mit zusätzlichen Funktionen ausstattet, die auch für den Einsatz auf der Straße interessant wären, weil technisch dann häufig ein Mittelweg aus diesen beiden Anforderungen (Dschungel und Straße) entsteht. Das Ergebnis wäre ein Auto, dass interessant für Gelegenheits-Dschungelfahrer ist, aber nicht für Leute, die vor allem auf matschigen Dschungel-Wegen unterwegs sind.

"Nützlichkeit" und "Usability" sind also trotz teilweiser gegenseitiger Abhängigkeit zwei voneinander getrennte Konzepte.

Will man die Nützlichkeit und die Usability von Geräten beurteilen, muss man zunächst fragen, für wen das Gerät in welchen Situationen nützlich und bedienbar sein soll.

Wer sich den folgenden Satz merkt, hat in Bezug auf das Thema "Usability" bereits viel gelernt: Es gibt keine einfachen Rezepte, um die Usability eines Gerätes zu erhöhen.

Einige Usability-Mythen sind, dass Touchscreens, wenige Knöpfe statt vieler Knöpfe oder gar eine Sprachsteuerung automatisch bessere Usability bedeuten würden. So einfach ist es leider nicht.

Man kann grob unterscheiden zwischen zwei Usability-Faktorengruppen:

Erstens Faktoren, die direkt mit physischen Eigenschaften des Gerätes zu tun haben, korrekter: Deren Ausprägungen man durch physikalische Messmethoden feststellen kann. Dazu gehört zum Beispiel die Schriftgröße, das Ansprechverhalten von Tasten oder Touchscreens, die Lautstärke eines Lautsprechers, die Größe von Tasten, die Kontraststärke eines Bildschirmes und so weiter. Diese Faktoren sind der "leichtere Teil" bei der Bestimmung der Usability eines Gerätes. Leicht deswegen, weil es für diese physikalischen Eigenschaften konkrete Designvorschläge gibt. Man muss nur beachten, dass das Gerät eine bestimmte, zuvor in anderen Untersuchungen festgestellte und vorgeschlagene Mindestgröße beispielsweise der Schrift nicht unterschreitet.

Und zweitens Faktoren, die mit dem Begreifen und Verstehen des Gerätes durch den Menschen zu tun haben. Psychologische Faktoren also, die man nur mit psychologischen Messmethoden dingfest machen kann. Leider gibt es anders als bei den physikalischen Faktoren hier keine Tabellen, wo man nachschlagen kann, wie bestimmte Menschen ein neues Gerät begreifen. Das muss bei jedem Gerät jedes Mal neu erforscht werden. Und das ist das, was Usability nicht einfach macht.

Wie Menschen mit einem Gerät umgehen, hängt nämlich vor allem davon ab, welches mentale Konzept jemand bezüglich des jeweiligen Gerät-Dingsbums in seinem Kopf hat. Beispiel: Man stelle sich vor, jemand, der noch nie ein größeres Gewässer wie einen See oder das Meer gesehen hat, findet irgendwo weit vom Ufer entfernt ein Kanu. Da er nicht ahnt, dass es Gewässer gibt, auf denen man herumfahren kann, fehlt ihm das Konzept, wozu das Ding gut ist (Nützlichkeit) und erst recht, wie man es gebraucht (Usability). Was ein Ding für uns ist, hängt also entscheidend von unserem Vorwissen ab. Jemand, der noch nie eine heute typische 2D-Bedienoberfläche eines Heimcomputers mit seiner Ordnerstruktur und seiner Aufteilung in Programme und Dateien und der Zuordnung verschiedener Funktionen zu verschiedenen Programmen und dem Auswählen von Funktionen mittels verschachtelter Befehlsmenüs gesehen hat, wird ratlos aus der Wäsche gucken, selbst wenn er vor dem letzten Apple-Modell mit sicherlich ansonsten exzellenter Usability steht.

Usability hat also viel mit dem Vorwissen der Nutzer zu tun. Da es aber häufig zwingend ist, dass Geräte mehr bieten als das, was bereits existiert, kommen Gerätehersteller häufig nicht drum herum, den Nutzer zu zwingen, sein Vorwissen zu erweitern, sprich den Umgang mit dem Gerät zu erlernen.

Daraus ergibt sich für die Messung der Usability: Wichtig ist, dass ein Nutzer möglichst wenig neu erlernen muss beim Umgang mit einem Gerät, dass er das Neue schnell lernen kann und dass er das Neugelernte auch nach längerer Nichtnutzung des Gerätes nicht wieder vergessen hat.

Nehmen wir das neue iPhone von Apple: Entscheidend für die Usability wird sein, wie schnell ein neuer Nutzer mit der neuartigen Benutzerführung wird umgehen können. Wie schnell lernt er also die im Vergleich zu sonstigen Geräten besondere Bedienweise des Touchscreens? Geht es schnell "in Fleisch und Blut" über, wie man zum Beispiel eine Abspielliste von MP3-Songs auf dem iPhone kreiert oder kommt der Nutzer durcheinander, weil andere Funktionen des Gerätes ähnliche Bedienschritte erfordern und so weiter?

Während es für die physikalische Gestaltung von Geräten klare und überdauernde Richtlinien gibt (Buchstaben müssen immer mindestens eine bestimmte Größe haben, damit Menschen sie einigermaßen lesen können und so weiter), muss ein neues Gerät immer am Menschen hinsichtlich seiner Usability neu getestet werden. Das Zusammenspiel aus Technik und Bedienkonzept, den Anforderungen, Erwartungen und Wünschen bestimmter Nutzergruppen an das Gerät und das Vorwissen und die mentalen Fähigkeiten der Nutzer ergeben zusammen ein derartig komplexes Gebilde, dass kein Designer dieser Welt ein Gerät einfach so am Zeichenbrett entwerfen kann und es wird gut. Der Input von realen Nutzern durch reale Nutzertests (bereits an Prototypen und Mock-Ups) ist absolute Bedingung, um Geräte entwickeln zu können, mit denen anschließend bestimmte Nutzergruppen auch tatsächlich relativ schmerzfrei umgehen können.

Wie Psychologen solche Nutzertests durchführen, was genau in solchen Nutzertests wie gemessen wird, welche weiteren Kriterien für die Messung der Usability dabei wichtig sind neben dem oben genannten Kriterium des schnellen Erlernens des Umgangs mit einem Gerät, ist dann noch einmal ein weiteres umfangreiches Thema, das hier jetzt zu weit führen würde. Weitere Usability-Kriterien sind zum Beispiel: Wie fehlertolerant ist ein Gerät? Wie schnell können einzelne Bedienschritte ausgeführt werden? Wie vorhersagbar verhält sich ein Gerät? Wie stark kann ein Nutzer das Bedienverhalten des Gerätes an eigene Wünsche anpassen? Und so weiter.

Aber ich hoffe, ich konnte in diesem schnellen, unvollständigen Abriss zumindest deutlich machen, dass "Usability" kein einfaches Thema ist. Und das war mein Ziel.

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