Die Berliner Zeitung berichtet:
An diesem Sonntag sind die Venezolaner aufgerufen abzustimmen, ob sie mit einer Änderung der Verfassung Chavez ein Mandat auf Lebenszeit geben. (Quelle: Berlinonline.de)
Ah, ja. Ich würde sagen: Falscher kann man kaum berichten. Wirklich seltsam, was in den deutschen Medien abgeht bei diesem Thema.
Die Verfassungsänderung ermöglicht unter anderem, neben vielen anderen Punkten, die
Wiederwahl von Chávez. Theoretisch auch die immer wieder wiederholte
Wiederwahl bis zu seinem Ableben. Aber soweit ich das Konzept von Wahlen verstehe, nur, wenn das Volk ihn auch weiterhin haben will.
Richtig lustig wird es in einem der nächsten Sätze im Artikel der Berliner Zeitung:
Als Anreiz, für dieses Vorhaben zu stimmen, bietet Chavez den Wählern eine Verringerung ihrer Arbeitszeit. (Quelle: Berlinonline.de)
Auch hier erkennt man wieder ein Charakteristikum der deutschen Berichterstattung über Venezuela: Das venezolanische Volk ist so doof, die machen jemanden (angeblich) zum Diktator, nur weil sie etwas Brot und Gesundheitsversorgung dafür bekommen und dafür weniger arbeiten müssen. Dass es bei der Verfassungsreform hauptsächlich um mehr Gleichberechtigung und um mehr und direkteren Einfluss des Volkes auf die Politik geht, dass basisdemokratische Elemente eingeführt werden sollen, das wird seltsamerweise nie berichtet in unseren Qualitätsmedien. Es gibt einerseits eine Stärkung der zentralen Macht, andererseits eine Ausweitung basisdemokratischer Elemente. Dies soll beispielsweise den Einfluss korrupter Provinzfürsten mindern helfen. Sicherlich kann man diskutieren, ob dieses politische Konzept gelungen ist, aber es gibt da noch einige Zwischenstufen zwischen "Volksheld" und "Diktator". Seltsamerweise liest man in den deutschen Medien kaum etwas über diese Zwischenstufen.
Die Regierung will die Reform-Gegner am liebsten als alte Oligarchen-Garde darstellen, die nicht wahrhaben will, dass sich Venezuela gewandelt hat. Tatsächlich aber rebelliert eine wenig homogene Gruppe gegen den Präsidenten: Neben Sympathisanten der früheren Regierung gehören viele Studenten und immer mehr enttäuschte Chavez-Anhänger dazu. (Quelle: Berlinonline.de)
Wie homogen oder nicht homogen die Gegner der Verfassungsreform sind, kann man kaum sagen. Unglaubwürdig erscheint mir jedoch die implizite Aussage des Artikels der Berliner Zeitung, dass die Befürworter (ca. 60% nach den letzten Umfragen) eine homogene Gruppe sei.
Der Artikel der Berliner Zeitung berichtet auch über die Sorge der Opposition, dass es bei der Abstimmung Unregelmäßigkeiten geben würde. Diese Sorge hatte die Opposition bislang bei allen Wahlen geäußert und sogar die letzten Parlamentswahlen deshalb boykottiert. Deshalb sitzt sie nun auch nicht im Parlament. Internationale Wahlbeobachter wie beispielsweise von der "Carter Foundation" konnten jedoch keinerlei Unregelmäßigkeiten feststellen und bescheinigten, dass es bei der Parlamentswahl korrekt zuging. Es ist gefährlich, schon vor der Wahl und ohne dass es konkrete Anhaltspunkte gibt oder eine Vorgeschichte gibt, die Manipulationen befürchten lässt, die Korrektheit einer Wahl in Abrede zu stellen. Wer sorgt hier für Instabilität? Ich würde doch sagen, jene Leute, die von vornherein eine Wahl als ungültig ansehen wollen, oder?
Ganz seltsam endet der Artikel der Berliner Zeitung, indem manipulativ die Frage gestellt wird, ob nicht Chávinisten für den Brand irgendeines Büros irgendeiner Universität in Frage kommen könnten. Man erfährt nicht, um welche Universität es sich handelt und nichts über die Hintergründe dieses Brandes. Wer auf Amerika21.de und anderswo etwas rumstöbert, wird jedoch von Bränden lesen, die
von oppositionellen Studenten gelegt wurden und bei denen eingeschlossene Studenten unter anderem in Lebensgefahr gerieten.
Man mag über Chávez denken, was man will. Man mag es befremdlich, unsympathisch oder gar verwerflich finden, dass er sich so freundschaftlich stellt mit Personen wie Fidel Castro oder mit dem iranischen Präsidenten Amahdinedschad. Genauso mag man es befremdlich, unsympathisch oder gar verwerflich finden, dass er immer wieder eine mögliche Invasion der
USA in Venezuela an die Wand malt. Informierte Menschen mögen dies eventuell versuchen zu erklären mit der jüngsten Geschichte Venezuelas, vor allem mit den Ereignissen rund um den Putschversuch von 2002, wo eine antidemokratisch eingestellte Opposition den gewählten Präsidenten (Chávez) versuchte zu stürzen und daraufhin sich ein Verdacht in Venezuela breit machte, der Umsturz sei von der
CIA mit organisiert worden. Ganz egal, ob diese Verdächtigungen in Richtung
USA nun übertrieben sind oder nicht, sie nährten das Misstrauen gegenüber der
USA, die ihrerseits bislang auch wenig tat, um die Beziehungen zu verbessern zu Venezuela. Das Misstrauen zwischen den
USA und Venezuela ist also - ganz unabhängig von der Frage, wer Schuld hat daran - ein Faktum, das die Außenpolitik Venezuelas bestimmt und vor dessen Hintergrund manche außenpolitischen Handlungen Venezuelas verständlicher, wenn auch nicht akzeptabler, erscheinen.
Aber so lange die Mehrheit des Volkes hinter Chávez steht und ihn in freien und fairen Wahlen wiederwählt, so lange die Pressefreiheit und die Menschenrechte von der Regierung geachtet werden (und nach allen Informationen, die ich habe, werden sie das entgegen den von den privaten Medien Venezuelas verbreiteten Meldungen), sollte man um der Wahrheit willen vorsichtig sein, Chávez als einen Diktator zu bezeichnen.
Die interessante Frage lautet also: Wer dreht hier in den deutschen Medien am Rädchen? Wer oder was ist dafür verantwortlich, dass kaum über die eigentlichen Inhalte der Verfassungsreform (nämlich die Einführung stärkerer basisdemokratischer Verfahren), über die morgen in Venezuela abgestimmt wird, berichtet wird, sondern immer nur in halbseidenen Berichten entweder durch offene Lügen, wie in obigem Artikel der Berliner Zeitung oder in manipulativ-einseitiger Berichterstattung wie
vorgestern in der Tagesschau, dargestellt wird, Venezuela stände kurz vor der Einführung einer Diktatur?
Eine mögliche Erklärung ist, dass die deutschen Medien schlicht zu faul sind, selbst zu recherchieren und auf die von den privaten Medien Venezuelas verbreitete Wahrheit zurückgreifen. Diese privaten Medien Venezuelas, die angebunden sind an internationale Medienkonglomerate mit großem Einfluss in den
USA und in Brasilien, sind jedoch selbst äußerst stark verwickelt in die Politik Venezuelas. Sie waren mit die Hauptakteure bei dem Versuch der Abschaffung der Demokratie dort im Jahre 2002. Wer mehr darüber erfahren will, dem empfehle ich, sich eine Kopie des von europäischen, öffentlich-rechtlichen Sendern wie
ZDF und Arte mitproduzierten und
international ausgezeichneten und 2004 für den Grimme-Preis
nominierten Dokumentarfilms
Hugo Chávez - Ein Staatsstreich von Innen zu besorgen. Bei Amazon wurde ich leider nicht fündig. Wer jedoch in eine Suchmaschine seiner Wahl den Begriff "indypeer" und den Titel des Films eingibt, bekommt wortwörtlich mehr zu sehen. Im Kino läuft der Film zur Zeit nicht und im Fernsehen auch nicht. In den üblichen Videotheken wird er auch wohl kaum aufzutreiben sein. Ein Dokumentarfilm eben, kein Spielfilm.
Wer dieses Weblog hier bereits länger liest, weiß, dass ich Regierungen gegenüber eher misstrauisch eingestellt bin. Aber mein Misstrauen gegenüber den Medien ist mindestens genauso groß. Und dieses Misstrauen wird derzeit leider extrem bestätigt.
Chávez Auftreten ist unorthodox, keine Frage. Außerdem weicht sein politischer Kurs ab von dem, was man kennt, nämlich der repräsentativen Demokratie und er macht neoliberale Umstrukturierungen der Vergangenheit rückgängig. Er gibt vor, den direkten Einfluss des Volkes stärken zu wollen. Ist das nur heiße Luft? Warum dann dieser ganze Zirkus mit der
Volksabstimmung über eine Verfassungsreform, durch die das Volk dauerhaft noch mehr politischer Einfluss zugesprochen werden soll und die nicht nur von oben herab ausgearbeitet wurde, sondern in einem Prozess, bei dem breite Teile der Gesellschaft aktiv teilnahmen? Und wenn das alles Täuschungsmanöver von Chávez sein sollen, wäre es dann nicht sinnvoll, genau diese Täuschungsmanöver in Artikeln und Berichten über Chávez detailliert aufzudecken?
Dann also mal los, liebe Medien! Nehmt ihn auseinander, den "Diktator" Chávez! Zeigt es ihm und uns! Aber verschont uns mit falschen Berichten und oberflächlichen, manipulativen, einseitigen Berichten. Manipulative Berichte und Berichte, in denen sich Lügen finden lassen, sind keine Zier. Ehrlich nicht. Wusstet ihr noch nicht, liebe deutsche "Qualitätsmedien", oder? Tja. Man lernt eben nie aus.
Erläuterungen zu beiden oben eingeklinkten Bildern: Das erste Bild oben zeigt einen von insgesamt drei Cover-Entwürfen des brasilianischen Nachrichtenmagazins "Época":
Das dritte Bild wählten die Redakteure aus. Gedruckt wurde dann jedoch eine verfremdete Version dieses Bildes, zu sehen oben in meinem Weblog-Artikel an zweiter Stelle. Die Redakteure von Época nahmen sich die "künstlerische" Freiheit heraus, Chávez durch Bildmanipulationen etwas, nun ja, "interessanter" aussehen zu lassen und fügten zudem eine Karte Südamerikas hinter Chávez ein. Warum nur? Passt vermutlich besser zur militärischen Montur von Chávez. Oder so. Mehr darüber weiß Sabina Becker in ihrem Weblog "
News of the Restless" zu berichten (via
Gebloggtewelten.de).
Und wen das Cover von Época irgendwie an ein deutsches Magazin erinnert, findet
hier eine Antwort. So sehen sie halt aus, die Magazin-Cover für die "Info-Elite".
Mehr zum Thema "Medien und Chávez" hier in der "Schieflage":
Nachtrag: Noch ein interessanter, durchaus kritischer Artikel zur aktuellen Situation in Venezuela und vor allem mehr über den Inhalt dieser ominösen Verfassungsreform bringt auch mal wieder Amerika21.de:
Autoritarismus von unten.
Darin:
Die geltende Carta Magna ist allerdings selbst ein eilig zusammengeschriebenes Reformwerk: Das kleine blaue Büchlein, das jeder gute Chavist immer in der Hemdtasche trägt, wurde in einem halben Jahr nach Chávez Amtsübernahme aus dem Boden gestampft. Mit der jetzigen Neufassung will die Regierung Chávez einerseits ihre Mängel ausbügeln. Zum anderen will sie damit den Übergang zum proklamierten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" festschreiben. [...]
Kernpunkt der Reform sind aber die neuen "Volksmacht-Institutionen", die auf kommunaler Ebene die Macht übernehmen sollen. Gemeindepolitik wird dann nicht mehr den Rathäusern, sondern in "kommunalen Räten" entschieden. Aus chavistischer Sicht sollen die Räte helfen, lokale Machtkartelle zugunsten basisdemokratischer Strukturen abzuschaffen. [...]
Ob sie tatsächlich Keim einer revolutionären Basisdemokratie sein werden oder willfährige Instrumente der Regierung: Das ist die Frage, über sich die Venezolaner dieser Tage streiten. "Das Problem ist, dass die sogenannte Volksmacht, also die Gemeinde, am Tropf der Nationalregierung hängt", meint der Jesuit Arturo Peraza, Herausgeber der renommierten Zeitschrift SIC. Weil die Rätestruktur pyramidal auf die Nomenklatura im Zentrum zulaufe, habe diese alles unter Kontrolle und sei unangreifbar.
Die entscheidende Frage ist, ob und wie sich in einem Land, in dem Korruption und Kolonialismus tief verwurzelt sind, ein gewaltloser, demokratischer Übergang zu einer basisdemokratischen, solidarischen Gesellschaft schaffen lässt. Die Medienkampagnen der Opposition, aber auch der Verbalradikalismus der Chávez-Kader übertönen die leiseren Töne in der Debatte. (Quelle: Amerika21.de)
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